Ein Mann zum Abheben
Art zweite Flitterwochen dar. Sie werden mit Delfinen schwimmen.
Nicht ganz zweite Flitterwochen, korrigiert Nancy mich, als ich sie später im Trader Jo’s treffe. Lynn und Andy sind
nicht mehr miteinander verheiratet - ihre Scheidung ist seit fast einem Jahr rechtskräftig. Es wird also irgendeine Feier geben, vielleicht sogar eine neue Hochzeit. Ob sich das nicht ein bisschen komisch anfühlen würde, alles noch einmal mit demselben Mann zu erleben?
Das Verrückteste war, flüstert Kelly während des Nachmittagskaffees am Sonntag, dass dieser junge Mann auf dem Parkplatz ihrer Wohnanlage aufgetaucht ist, während sie für Belize gepackt hat, und angefangen hat zu hupen. Ein Junge, wirklich. Er hat sich offenbar in Lynn verknallt, denn es hat eine Szene gegeben …
Die Polizei ist gekommen, erzählt Belinda. Kannst du dir das vorstellen?
Wer weiß schon, was sich der Knabe gedacht hat, murmelt Nancy. Du kennst Lynn. Sie ist immer viel zu nett, als dass es gut für sie ist. Er scheint die Situation missverstanden zu haben und ihre Freundlichkeit ihm gegenüber als etwas anderes gesehen …
Eine Situation kann schnell außer Kontrolle geraten, findet Kelly.
Kannst du dir vorstellen, dass die Polizisten vor Lynns Tür standen?, will Belinda wissen. Ausgerechnet bei Lynn?
Nein, sie nimmt ihren Job bei der Kirche nicht wieder auf, erklärt Nancy. Jeff hat sich deswegen zuerst ein bisschen aufgeregt - immerhin hat er einiges auf sich genommen, um den Kirchengemeinderat davon zu überzeugen, das Geld zu berappen und sie einzustellen. Aber wenn das das Beste für Lynn, Andy und die Jungen ist, dann hat er natürlich Verständnis dafür. Denn das ist das Einzige, was wirklich zählt. Das, was das Beste für Lynn, Andy und die Jungen ist.
Dreiundzwanzig. Belinda hebt ihre Augenbrauen. So alt war der Junge vom Parkplatz, wie sich herausstellt. Dreiundzwanzig.
Schau, Nancy wedelt unter meiner Nase mit einer Postkarte, auf der ein Stück Dschungel zu sehen ist. Sie schreibt, es ist wunderschön dort. Wie im Paradies.
Kelly hat ebenfalls eine Postkarte aus Belize bekommen.
So wie auch Belinda.
Lynn ist eine gute Ehefrau gewesen - wahrscheinlich, überlege ich, die beste von uns allen. Sie war diejenige, die die unzähligen Fähigkeiten, die dieser Job erfordert, am besten beherrscht hat. Nicht nur die Haushaltsführung, das Kochen und die Erziehung der Kinder oder das Talent, ihrem Ehemann ein behagliches und fröhliches Heim zu bereiten. Das ist der leichte Teil. Lynn war auch, was die inneren Aufgaben einer Ehe betrifft, begabt. Sie wusste, wie man sich Nischen schafft, in denen man verschwinden kann, Orte, an denen sie ihre wahren Gedanken verstaut, wie etwa einen zusätzlichen Satz von Autoschlüsseln.
Doch letzten Endes scheint es nicht darauf anzukommen. Eines Morgens informierte sie ihr Mann, als sein Samen noch an ihren Oberschenkeln klebte, dass sie ersetzt worden war. Als er an jenem Tag aus der Tür ging, wegging, sich nach links wandte und den Block hinunterging, folgte sie ihm. Sie folgte ihm, bis er nicht mehr zu sehen war.
»Ich habe ihn verloren«, erzählte sie mir. »Buchstäblich verloren.« Was ist das? Eine Art von Erinnerung, die alle Frauen besitzen, ein dunkler Teil unseres Gehirns, der die Herrschaft übernimmt und uns, fern aller Vernunft, dazu treibt, Männern zu folgen? Wenn es Lynn - die vernünftige, disziplinierte Lynn - dazu getrieben hat, dann muss es allerdings ein sehr starker Impuls sein.
Doch dann, an irgendeinem Punkt - wahrscheinlich nicht im ersten Jahr, eher im zweiten -, fing sie an, Gefallen am Alleinsein zu finden. Vielleicht lag es an dem kahlköpfigen
Jungen von Starbucks, aber ich nehme an, dass es auch etwas mit ihrer harten, handfesten Arbeit bei der Kirche zu tun hat. Dem Geruch von Terpentin, dem Gewicht des Müllsacks auf ihrer Schulter, dem tröstlichen Griff des Hammers in ihrer Hand. In dieser Woche bin ich jeden Tag zu meinem Briefkasten hinausgegangen und habe nachgesehen, ob meine Karte aus Belize angekommen ist. Ich habe ein Stück weit geglaubt, dass Lynn etwas auf die Rückseite schreiben würde, das mir alles erklärte. Sie würde mir mitteilen, warum es so schwer sei zu gehen und - das hat mich so schockiert, dass ich jetzt unvorbereitet und betäubt in meiner Küche stehe, eine Tasse Kaffee an den Lippen - warum es so schwer sei wegzubleiben. Darauf war ich nicht gefasst. Ich verstehe die Anziehungskraft der Ehe, doch ich war der Meinung, dass
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