Ein Mann zum Abheben
das Leben schwer. Irgendetwas stört sie immer - der Wein ist zu warm, der Fisch ist zu kalt, sie fordert das Dressing extra am Rand. Sie entdeckt ein Stückchen rohe Zwiebel, dabei hat sie doch die Bedienung gefragt, bevor sie die Bestellung aufgegeben hat. Rohe Zwiebeln reizen ihren empfindlichen Gaumen. Sie behauptet, den Geschmack noch Stunden später zu spüren. Ein einziges Stückchen kann ihr die Freude am Abendessen verderben.
Ich beobachte, wie sie ihre Gabel nimmt und in ihrem Salat herumpickt, über den sie nicht sonderlich glücklich zu sein scheint, und ich finde zum wohl tausendsten Mal, dass Nancy arbeiten gehen sollte. Sie ist intelligent und ehrgeizig, sie besitzt eine grenzenlose Energie, und der Himmel weiß, wie sehr sie das Geld brauchen könnten. Sie gehört zu der Sorte Frau, die als Maklerin pro Jahr eine Million verdienen könnte, sie hat eine Art instinktiven Antrieb. Aber sie hat auch drei Kinder und einen Mann, der Pfarrer ist, also dekoriert sie ständig um und staucht Bedienungen zusammen, wenn sie ihr das falsche Salatdressing bringen, anstatt dass sie Geld verdient.
»Hast du mit einem Anwalt gesprochen?«, fragt Belinda.
Ich schüttle den Kopf. Diese Frage schockiert mich. Sie scheint aus dem Nichts zu kommen. Vielleicht schockiert sie auch alle anderen. Es ist schwer festzustellen, wenn wir alle Sonnenbrillen tragen.
»Was immer du machst, zieh nicht aus dem Haus aus«, sagt Belinda.
»Ich muss. Phil zieht nirgends anders hin.«
»Keiner sagt, dass es vorbei ist«, wirft Nancy ein.
»Trotzdem muss sie mit einem Anwalt sprechen«, beharrt Belinda. »Wenn er nicht rausgeht, kann man ihn vielleicht dazu bringen, ins Gästezimmer zu ziehen.«
»Komm schon, Belinda«, entgegne ich. »Es ist kein Geheimnis, mit wem ich es zu tun habe. Phil lässt sich aus diesem Haus nicht einmal mit Sprengstoff vertreiben, wenn also irgendwer irgendwohin geht, dann bin ich das. Ich bin diejenige, die sich verabschieden muss von der Terrasse, vom Teich, von den Enten und BMWs, den Tulpen und den kleinen Jungen mit biblischen Namen, den goldenen Kreditkarten von American Express, und ich muss mich von Ben & Jerry’s verabschieden.«
Kelly lächelt flüchtig. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie bei Ben & Jerrys’s auch geschiedene Frauen reinlassen.«
»Wann wurde das Wort ›geschieden‹ ins Spiel gebracht?«, fuhr Nancy auf. »Sie haben einen kleinen Rückschlag erlebt, das ist alles.«
»Das mit Pascal tut mir leid«, sagt Kelly.
»Ich kann einfach nicht«, ich wische mir über die Augen, »ich scheine mich einfach nicht mehr daran erinnern zu können, warum ich ihn geheiratet habe.«
»Mach dich nicht verrückt«, tröstet mich Belinda. »Wir fühlen uns alle ab und an so.« Nancy streicht mit dem Finger über den Rand ihres Weinglases.
»Ich hatte ein schlechtes Jahrzehnt«, sage ich.
»Was du, meine Liebe, nicht verstehen kannst«, entgegnet Kelly, »ist, dass wir alle das gleiche Jahrzehnt hatten.«
Wir sitzen eine Weile da und essen schweigend. Kelly gibt der Bedienung das Zeichen für ein weiteres Glas Wein.
Wir trinken immer alle ein Glas Wein, wenn wir irgendwo nett zu Mittag essen, und manchmal trinken wir auch zwei Gläser, was allerdings sehr selten vorkommt, und doch überrascht mich, wie schnell Kelly ihr erstes hinuntergestürzt hat. Auch Belinda ist fast fertig. Ich habe meines noch nicht angerührt und inspiziere den Wein. Er erscheint blass im Glas, und ich frage mich, was genau es für eine Sorte ist. Normalerweise bestelle ich zuerst, und die anderen bestellen sich das, was ich trinke, heute jedoch habe ich mich verspätet, und eine andere muss die Karte studiert haben.
Der Wein zum Mittagessen ist so eine Sache. Wir bestellen vier Gläser, aber wir würden niemals eine Flasche bestellen. Eine Flasche Wein zum Mittagessen zu trinken ist etwas ganz anderes, als vier Gläser zu trinken. Das ist mathematisch gesehen nicht schlüssig, aber so sind wir eben. Es ist eine der Möglichkeiten, vor uns selbst und den anderen zu verschleiern, wie viel wir wirklich trinken und dass es Zeiten gibt - nicht allzu oft, vielleicht ein-, zweimal im Jahr -, in denen wir kein Recht darauf haben, diese Cafés zu verlassen und uns geradewegs in den Verkehr einzufädeln.
»Du siehst heute gut aus«, sagt Belinda schließlich zu Kelly.
»Danke«, antwortet Kelly. »Wir sehen alle gut aus.« Und das stimmt wirklich. Trotz der spürbaren Anspannung am Tisch, trotz der Tatsache, dass
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