Ein Mann zum Abheben
gemeinsam hat. Oft ruft sie mich weinend von ihrem Handy aus an und erzählt, dass sie nur eine Abkürzung hatte nehmen wollen und ihr plötzlich
nichts mehr bekannt vorkommt. »Ich verirre mich in meiner eigenen Heimatstadt«, sagt sie in solchen Fällen, und ich versichere ihr, dass dem nicht so ist. Die Wahrheit ist allerdings, dass ich mich manchmal selbst verirre.
Das würde Belinda überraschen, die überzeugt ist, dass all ihre Komplexe auf der Tatsache beruhen, dass sie in Alabama geboren wurde. Sie wuchs in armen Verhältnissen auf, und als sie Michael an der Universität kennenlernte, war auch er arm. Arm, aber genial, einer dieser schlaksigen, vom Land stammenden Nerds mit krummem Rücken. Wer hätte geahnt, dass er ein Computerprogramm schreiben würde, während er erst im zweiten Studienjahr ist, und es noch vor seinem Examen an die Bank of America verkaufen würde? Ganz bestimmt nicht sie, das steht fest. Alle behaupteten, sie hätte genau gewusst, wie man an so jemanden rankommen konnte, doch sie hasste es, wenn die Leute so sprachen. Das sieht so nach Berechnung aus, Tatsache ist aber, dass ein Mädchen nie weiß, was aus einem Jungen wird. Michael sprach sie einfach eines frühen Morgens auf dem Weg in die Klasse an und sagte ihr, dass sie hübsch sei. Am Abend zuvor hatte sie auf einer Saufparty einen Kerl getroffen, einen Kerl, der sechs selige Stunden damit verbracht hatte, sie zu vögeln, und dann verschwunden ist, ohne sich zu verabschieden. Belinda war verkatert und in ihrem Schlafanzugoberteil zu ihrer Klasse unterwegs, und Michael - der süße, schüchterne Michael - passte sich ihrem Schritt an und sagte ihr, dass sie hübsch sei.
Die beiden heirateten, sie wurde schwanger, vielleicht ist es aber auch andersherum gewesen, und sie lebten zwei Jahre lang in einem dieser schrecklichen Studentenwohnheime. Dann unterzeichnete er für eine sechsstellige Summe mir nichts, dir nichts bei der Bank. Sechs Ziffern und fünf Babys in fünf Jahren. Ihre Mutter hat ein Bild von Belindas
Haus an ihrem Kühlschrank hängen, festgehalten von einem Magneten.
»Nirgends in dem Wohnwagen, in dem sie lebt, gibt es auch nur ein einziges Bild von meinen Kindern«, erzählte mir Belinda mehrmals, wobei ihre Stimme vor Empörung schrill wurde. »Aber Mama ist zweifelsohne stolz auf mein Haus.«
Es überrascht also nicht, dass sie sich ein Stück weit als Hochstaplerin fühlt, doch Tatsache ist, dass sie genauso hierhergehört wie jede andere - dies ist nur ein weiterer Vermerk in der prallvollen Akte, die die Aufschrift trägt: »Dinge, die Belinda bisher noch nicht erkannt hat.« Sie versucht in einem fort aufzuholen. Sie kauft in diesen teuren Geschäften für die älteren Damen ein und ersteht Sweatshirts mit Abbildungen, und das nicht etwa für die Ferien, nein, sie trägt sie die ganze Zeit: Segelboote, Hartriegel und Tiere. Die meisten Sweatshirts sind vorne ausgebeult, weil sie während Belindas Schwangerschaften über dem dürftig gewölbten Bauch getragen wurden, was die Bilder ein wenig surrealistisch erscheinen lässt. Heute Abend hat sie einen Hund an, dessen Beine viel zu lang sind. Diese Sweatshirts und dazu knöchellange Jeansröcke und Ballerinas in grellen Farben, so stellt sich Belinda das Outfit einer intellektuellen Vorstadtbewohnerin vor, und sie weigert sich, dieses Bild aufzugeben, obwohl weiß Gott keine von uns sich so kleidet. Mich wundert, dass Nancy nicht versucht hat, sie eines Besseren zu belehren - hinsichtlich der Sweatshirts und auch hinsichtlich anderer Sachen. Belinda macht nämlich alles, was Nancy ihr sagt.
Nancy aber fühlt sich meiner Meinung nach selbst nicht wohl in ihrer Haut. Vor drei Jahren ist sie aus New Jersey hierhergezogen, und noch immer scheint sie von der Größe ihres Hauses überwältigt zu sein. Eine Menge Leute, die
aus dem Nordwesten anrücken, sind so: Sie haben ein 400 000 Dollar teures einstöckiges Haus in einer Schlafstadt besessen, kommen her und schrecken vor dem zurück, was sie sich für 400 000 Dollar alles kaufen können. So ist das eben in dieser Welt. Die Immobilienmaklerin drückt auf ein paar Knöpfe und sagt dir, was du dir leisten kannst, und das ist mehr, als du glaubst, dass du dir leisten kannst. Wenn sie dir doch sagt, dass du die Bedingungen erfüllst, steht es dir ja wohl nicht zu, es zu bestreiten. Du ziehst ein, und dann wachst du eines Morgens auf, wanderst umher und fragst dich, wie zum Teufel du in diesem Mausoleum aus Granit
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