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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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Steckdosen bedeckten. Wie sollte ich eine Welt beschreiben, in der es unmöglich schien, sich zu verletzen? »Mein Tag war gut«, sagte ich. »Erzähl mir mehr.«
    Natürlich konnte sie mein von Kissen umgebenes Leben nicht nachvollziehen, natürlich konnte sie nicht auf die Bremse treten, um sich umzusehen. Natürlich hatte sie einen Tunnelblick, sie befand sich ja in einem Tunnel. Es gibt eine Zeit, in der man einen Schritt zurücktreten und das ganze Bild betrachten muss, eine Zeit, in der man über einen anderen Standpunkt nachdenken muss. Aber nicht in diesem Augenblick.
    »Spreche ich zu viel von ihm?«, fragte sie jedes Mal, um sofort hinzuzufügen: »Ich weiß, ich weiß, ich spreche viel zu
viel von ihm.« Die wenigen klaren Momente reichten aber nicht aus, um den Prozess, in den sie hineingezogen wurde, zu verlangsamen. Mit ihr geschah etwas Fundamentales. Hätte man sie gebeten, stehen zu bleiben und sich umzuschauen, hätte man genauso gut eine Frau, die Wehen hat, fragen können, ob sie über Politik diskutieren möchte. Sie hätte einem völlig zu Recht gesagt, dass sie im Moment andere Dinge im Kopf hat.
    Obwohl ich das nie sagte, konnte ich mir absolut nicht vorstellen, dass Kelly und Daniel eine gemeinsame Zukunft haben würden. Ehe ist für diese Sorte Leidenschaft nicht gemacht, genauso gut könnte man kochendes Wasser in einen Glaskrug schütten. Ich stellte mir vor, dass Kelly zerbrach, in einzelne Teile zerfiel, auf meinem Küchenboden in tausend Stücke zersprang. Etwas in mir wollte aus meiner Betäubung aufwachen und ihr den Rat geben, vorsichtig zu sein, aber etwas anderes in mir wusste, dass das, was ich Beschützerinstinkt nannte, nichts weiter als Neid war. Nach all dem jahrelangen Warten schlägt endlich der Liebesblitz ein, und er trifft nicht mich, er trifft die Person, die unmittelbar neben mir steht. Selbst wenn Daniel ein Schuft und untreu war, sie erfanden zusammen ein paar fabelhafte Geschichten. Und wir brauchten solche Geschichten. Sie musste sie erzählen, und während ich im Dunklen saß und meine schreiende Tochter auf den Armen wiegte, musste ich sie hören.
    Sie war meine beste Freundin. Es passierte einer von uns, und damit auf gewisse Weise uns beiden.
     
    Ihr Plan war denkbar einfach. Daniel wollte um eine Versetzung nach St. Louis bitten, da er glaubte, ihm und Kelly würde der Neuanfang in einer fremden Stadt leichter fallen. Sobald die Versetzung genehmigt war, wollte er seiner Frau
mitteilen, dass er sich scheiden lassen will. Sauber und schnell, ohne Umschweife. Er würde gehen, und seine Frau würde hierbleiben. Er würde ihr natürlich das Haus überlassen, das war nur fair. (Einmal sagte er zu mir: »Du zahlst immer Schmerzensgeld. Aber wenn es an der Zeit ist, bist du mehr als bereit, es zu zahlen.«) Nach ein paar Monaten würde Kelly zu ihm kommen, und seine Frau müsste niemals erfahren, dass er ein Verhältnis hatte. Seine Kinder würden in Kelly nie die böse Stiefmutter sehen, die ihr einigermaßen glückliches Heim kaputtgemacht hat.
    Er ging nach St. Louis - und hat sie nie nachgeholt. Nach einer Woche wilder Spekulationen rief sie ihn schließlich an und musste feststellen, dass er die Nummer seines Handys geändert hatte. Seine Firma teilte ihr mit, dass er nicht mehr dort arbeitete. Nein, er hätte keine Nachsendeadresse angegeben. Als wir an seinem alten Haus vorbeifuhren, stand ein Schild im Garten, auf dem »VERKAUFT« stand.
    »Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die diesen Augenblick noch dramatischer machen könnte«, sagte Kelly, während wir am Ende der Sackgasse standen und auf das leere Haus starrten, »und zwar, wenn ich mich genau jetzt zu dir umdrehen und dir mitteilen würde, dass ich schwanger bin.«
    Ich war diejenige, die sie zur Abtreibung fuhr. Tory war damals fünf Monate alt, und ich bin vielleicht die einzige Frau, die mit einem Baby auf dem Arm in einer Abtreibungsklinik auftauchte. Es war komisch, im Wartezimmer zu sitzen und sie zu stillen, deshalb ging ich, sobald sie Kelly aufgerufen hatten, nach draußen und wanderte mit ihr auf und ab. Die Frauen, die den Gehsteig entlangkamen, dachten vielleicht, dass ich protestierte. Nur etwas war noch schlimmer, als sie mit Bildern von verstümmelten Föten zu empfangen, nämlich sie mit einem richtigen Kind zu empfangen.
Meistens waren es Mädchen, nicht Frauen, und meistens waren sie sehr jung und sahen sehr ängstlich aus. Aus irgendeinem Grund hatte Kelly darauf bestanden, die

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