Ein Mann zum Abheben
und versteht es total.« Eine längere Pause. Sie schaute mich an. »Willst du mit ihm reden?«
Fast hätte ich den Kopf geschüttelt. Sie hatte vielleicht den Eindruck, dass ich es total verstand, doch ich hatte das Gefühl, als würden wir uns weiter denn je voneinander entfernen. Ich saß hier schwanger und fuhr einen Minivan, der noch immer wie neu roch und Aufkleber an den Fenstern hatte, und sie riss Waschbecken aus BP-Tankstellen.
»Soll ich?«
Sie nickte. »Dirty Talk. Den hast du immer gut gekonnt.«
Ich stellte mir vor, obszöne Sachen zu sagen ist wie Fahrradfahren. Ich saß da und dachte mir diese ganze Geschichte aus, nach der er unter dem Tisch hockt, während sie und ich Kaffee trinken. Ich sagte Sachen, die ich nie gesagt hätte, wenn ich ihn gekannt hätte, Sachen, die ich nie gesagt hätte, wenn er mich hätte sehen können, aber es war seltsam berauschend, diese körperlose Stimme eines Unbekannten zu hören, die aus dem Handy kam und fieberhaft wiederholte: »Und was dann, und was dann?«
Kelly krümmte sich vor Lachen und erzählte mir später, dass meine Geschichte perfekt passte und genau seiner sexuellen Fantasie entsprach: zwei Frauen, er unterwürfig, ständig gefangen und gezwungen, diesen beiden in irgendeiner Weise zu dienen. Wir waren kaum dreißig und zu jung, um zu erkennen, dass sie das alle wollen. Wir glaubten, wir wären in eine Art Wunder geraten, glaubten, dass es so einfach wäre, diesen Mann zu reizen, dass er sich verzweifelt nach jeder einzelnen Silbe eines jeglichen Versprechens sehnte.
Aber dann wurde ich nervös. Warum, weiß ich nicht mehr. Vielleicht kam jemand auf die Veranda. Vielleicht entdeckte
ich mich im Schaufenster des Cafés und erinnerte mich daran, dass ich schwanger war. Ich war keine von diesen schwangeren Frauen, die erstrahlten. Ich war die ganze Zeit verschwitzt, mir war ständig übel, und ich hatte ein fleckiges Gesicht. Phil und ich hatten seit drei Monaten nicht mehr miteinander geschlafen, seit jener Nacht nicht mehr, in der ich mich plötzlich, mitten im Geschehen, umgedreht und ins Bett gekotzt hatte. Kelly lächelte, beugte sich über den Tisch und nickte, um mich anzuspornen, doch als ich mein Spiegelbild im Fenster sah, hörte ich auf zu reden. Der Mann am anderen Ende schwieg.
Schließlich sagte ich: »Ich hoffe, ich habe keinen schlechten Eindruck hinterlassen«, und er antwortete: »Ganz im Gegenteil, ich kann mich nicht erinnern, dass jemand einen derart guten ersten Eindruck hinterlassen hat.«
Ich gab ihr das Handy zurück und versicherte ihr: »Er ist hinreißend.«
Sie hielt es an ihr Ohr, hörte eine Minute zu und grinste mich dann an. »Nein. Ich habe dir ja gesagt, dass Elyse und ich ins Kino gehen. Ich werde nicht vor fünf Uhr zurück sein.« Sie machte erneut eine Pause und fuhr fort: »Nein, ich glaube nicht, dass sie bereit ist mitzumachen, und sag nicht solche Sachen. Das klingt, als hättest du vor, sie zu erschießen.«
In den folgenden Monaten war ich die einzige Zeugin dieser Affäre. Kelly rief immer wieder an, kicherte und redete schnell, ich versicherte ihr ein ums andere Mal, dass ich sowieso noch nicht geschlafen hätte. Das war tatsächlich selten der Fall. Während der ruhelosen Nächte der letzten Schwangerschaftswochen und der langen Stillsitzungen, die darauf folgten, legte ich meinen Kopf schief, um das Telefon auf der Schulter festzuklemmen, und hörte den Worten zu,
die nur so aus ihr heraussprudelten, den Geschichten, die keine richtige Abfolge, keinen logischen Anfang und kein logisches Ende hatten. Geschichten, die mit einem gemurmelten »O mein Gott, ich weiß nicht, wie ich dir das erzählen soll …« anfingen.
Selbst auf dem Höhepunkt ihres wilden, stürmischen Lebens unterbrach sie sich manchmal und fragte: »Wie war dein Tag?«
Aber, mein Gott, ich wusste nicht, wie ich ihr das erzählen sollte. Das ging schon damit los, dass ich oft keine Ahnung hatte, welchen Tag wir überhaupt hatten. Und während uns das Leben Worte schenkte für das, was sie erlebte, schien es keine Worte für das zu geben, was mit mir passierte. Wie soll man die Stunden beschreiben, in denen man auf die Hand eines Babys starrt, oder ganze Tage, in denen man weder wach war noch schlief? Alles um sie herum war abenteuerlich und durchtrieben, aber ich begab mich in eine Welt, die keine Kanten besaß. Polsterungen um Betten, Kissenstapel vor Kaminen, Schlösser an Schränken, Plastikscheiben, die die Löcher in
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