Ein Mann zum Abheben
warten müsste, um ins Hotelzimmer zu kommen. Wir können es uns nicht leisten, fast den ganzen Tag mit Herumspazieren und Mittagessen totzuschlagen. Die Zeit ist zu kostbar, wir haben zu wenig davon, also komme ich einen Tag früher und checke im Hotel ein.
Am Dienstag wache ich um fünf auf. Ich füttere die Katzen zweimal. Als Phil mir einen Abschiedskuss gibt, verfehlt er meinen Mund, und der Kuss bleibt als feuchter Flecken auf meiner Wange, bis ich ihn abwische. Ich fahre Tory zur Schule und umarme sie beim Abschied zu fest.
»Schöne Ferien«, sagt sie. »Hals- und Beinbruch!« Dieses Jahr belegt sie zum ersten Mal Theater und liebt diese Redewendung, liebt die Vorstellung, dass man jemandem etwas Schlechtes wünscht, um ihm Glück zu wünschen, und dass man immer das Gegenteil von dem sagen sollte, was man meint.
Ich habe mir zwei volle Stunden zugestanden, um zum Flughafen zu fahren. Im letzten Augenblick, als ich schon rückwärts aus der Auffahrt rolle, fällt mein Blick auf den Ehering. Ich stelle das Auto ab und laufe zurück ins Haus, um ihn abzunehmen. Ich will ihn im Bad beim Waschbecken ablegen, aber das ist riskant, ich könnte genauso gut jemanden bitten, ihn in den Abfluss fallen zu lassen. Das ist der Fluch, der auf den Frauen meiner Familie liegt. Immer und immer wieder, über Generationen hinweg, schaffen wir es, unsere Eheringe in den Abfluss zu spülen. Meine Mutter hat es mehrfach gemacht, meine Großmutter ebenfalls und
auch meine beiden Tanten. Meine frühesten Erinnerungen sind die an Klempner, die mitten am Tag hektisch gerufen wurden, um die Ringe aus den Abflussrohren zu holen, bevor die Ehemänner nach Hause kommen. Wir dürfen die Männer auf keinen Fall wissen lassen, wie dumm wir waren, wie leichtsinnig. Beinahe könnte man meinen, wir wollen dabei erwischt werden. Wer uns nicht kennt, könnte denken, wir sind Frauen, die es genießen, Ärger zu bekommen. Huch, schon sind sie wieder weg.
Würde ich außerdem meinen Ring auf dem Waschbecken zurücklassen, wäre das eine zu dramatische Geste, um selbst von Phil übergangen zu werden. Ich lege ihn in die oberste Schublade meines Nachttisches und hinterlasse meiner Mutter auf der Küchentheke eine Nachricht, um ihr all das mitzuteilen, was sie bereits über Torys Stundenplan, die Telefonnummern der Ärzte, den Aufbewahrungsort der Versicherungspolicen und das Katzenfutter weiß. Es handelt sich dabei um eine reine Zwangshandlung oder vielleicht auch um Aberglauben. Wäre dies ein Märchen, würde etwas Schreckliches passieren, während ich unterwegs bin, um verantwortungslos mit einem Fremden ins Bett zu gehen. Ein Feuer, ein Erdbeben, ein leichtsinnig geschwungener Baseballschläger, ein Monster, das unter der Dorfbrücke herauskrabbelt.
Ich möchte auf alle Fälle weg sein, bevor sie hier ankommt, weshalb ich die Nachricht schnell hinkritzle. Meine Mutter ist nicht dumm. Sie würde viel zu viele Fragen zu meinen Plänen für New York stellen, sie würde den Namen eines Hotels wissen wollen, meine genauen Flugzeiten. Ihr würde sofort auffallen, dass ich meinen Ehering nicht trage. Meine Mutter hat ein natürliches Gespür für Schuldbewusstsein und ein scharfes Auge für Einzelheiten. Immer wenn der Klempner ihren Ring aus dem Bogen des Abflussrohres
gezogen hatte, brach sie in einen Weinkrampf aus. »Wieder einmal knapp davongekommen«, sagte sie dann zu mir, »wieder einmal knapp davongekommen.«
Es dauert lange, bis ich mein Gepäck habe und den Shuttlebus finde, und als ich im Hotel ankomme und auspacke, ist mein Kostüm verknittert, und ich stelle fest, dass ich meine Make-up-Tasche zu Hause vergessen habe. Ich habe sie noch in letzter Minute herausgenommen, um Wimperntusche aufzutragen, und sie muss noch immer neben dem Waschbecken liegen.
Es ist ein Zeichen, ganz klar, ein Zeichen, dass ich mich schlichter geben soll. Ich wasche mein Gesicht und gehe hinunter auf die Straße. Ich möchte einen roten Lippenstift, ein einziges elegantes Röhrchen.
Es stellt sich heraus, dass das gar nicht so einfach ist, noch nicht einmal in New York, wo man alles finden kann, wenn man bereit ist, weit genug zu laufen. Bei Macy’s gibt es einen mit der Bezeichnung »simples Rot«, aber das Adverb ärgert mich, und ich suche weiter. Schließlich entdecke ich ihn in einem chinesischen Kräutershop in Chelsea: rot, siebzehn Dollar. Ich möchte mehr ausgeben.
Der Geschäftsinhaber hält mir einen kleinen Spiegel hin, während ich meine
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