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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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Lippen sehr sorgfältig anmale, und dann bin ich wieder draußen in den windigen Straßen von New York. Vielleicht reicht das, vielleicht habe ich mein großes Abenteuer schon erlebt, indem ich es so weit gebracht habe. Ich mag dieses neue Gesicht - schlicht, blass, mit einem einzigen Farbtupfer. Ich bleibe an einer Straßenecke stehen, wühle in meiner Tasche herum, bis ich ein Gummiband finde, und nehme die Haare aus dem Gesicht. Das ist sogar noch besser. Vielleicht brauche ich größere Ohrringe und ein professionelles Augenbrauenstyling, aber es wird dunkel,
also muss ich mir das für einen anderen Tag aufheben. Einstweilen muss mein Mund ausreichen.
    Wieder im Hotel bestelle ich beim Zimmerservice drei Wodka Tonic und einen Spinatsalat, dusche mich, wickle mir den Leihbademantel in Schachbrettmuster um meinen nassen Körper, gebe dem Mädchen zehn Dollar Trinkgeld und mache es mir mit dem Essen auf dem Bett bequem. Der Mantel ist weich und hat eine Kapuze, und in dem Augenblick, in dem sich der Stoff um mich wickelt, denke ich: »So fühlte es sich an, wenn man eine Geliebte ist.« Der Himmel weiß, was Gerry diese Suite kostet, aber es freut mich, dass das Hotel so edel, so diskret und eindeutig teuer ist. Es freut mich, dass er dafür gesorgt hat, dass mich im Zimmer Blumen erwartet haben. Tory hat mir auch eine Blume geschenkt. Als wir heute Morgen auf dem Weg zur Schule zum Tanken anhielten, bat sie mich um zwei Dollar. Ich gab sie ihr in der Annahme, sie wolle sich einen Schokoriegel kaufen, war aber zu unkonzentriert, um angesichts der Tatsache, dass 7 Uhr 45 keine gute Zeit für einen solchen Snack war, zu protestieren. Sie kam mit einer von jenen Rosen zurück, die in Lebensmittelgeschäften eingewickelt an der Kasse stehen, die nie aufgehen und nie sterben, sondern zum Schluss schwächeln und die Köpfe hängen lassen, während sie noch immer die Form von Knospen haben. Ich nahm die Rose mit ins Flugzeug. Ich hielt sie im Taxi in der Hand. Jetzt steht sie zusammengesunken im Eiskübel des Hotels, ihr Kopf ist über dem breiten Chromrand kaum zu sehen.
    Die Suite ist angenehm. Sie verrät mir, dass er mich gernhat und mich mein Verlangen in seinen Augen nicht abwertet. Ich schütte den ersten Drink hinunter und sauge an der kleinen Limettenscheibe, reibe meine Füße mit der nach Mandeln duftenden Lotion aus dem Bad ein, lese alle für die
Gäste auf dem Nachttisch bereitliegenden Zeitschriften und studiere, was diese Woche in den Museen gezeigt wird, weil mich meine Mutter fragen wird, wie ich meine beiden Tage in New York verbracht habe, und etwas Vernünftiges hören will. Als ich zu Hause anrufe, um sie wissen zu lassen, dass ich gut angekommen bin, wähle ich vom Hoteltelefon aus die ersten vier Nummern und breche ab. Es würde nicht gut gehen, wenn die Nummer eines Mandarin Oriental Hotels in unserer Anruferkennung auftaucht. Also benutze ich mein Handy, diese Rettung für alle Ehebrecher, diese Erfindung, die es einem so leichtmacht zu behaupten, man sei, wo man nicht ist. Ich wähle meine eigene Nummer - komisch, wie schwer es fällt, sich an sie zu erinnern - und hinterlasse eine vage Nachricht. Danach nehme ich den zweiten Drink zur Hand und gehe zum Fenster.
    Gegenüber meinem Hotel befindet sich ein Bürogebäude. In vielen Fenstern ist noch immer Licht, obwohl die Uhr neben dem Bett beinahe 21 Uhr anzeigt. Ein Mann sitzt am Schreibtisch. Ich kann ihn ziemlich deutlich sehen, sogar die Dose mit Coca-Cola light ist neben dem Computerbildschirm erkennbar. Mir fällt das Teleskop ein, das wir in meiner Kindheit besaßen. Mein Vater entwickelte während der Kennedyregierung ein großes Interesse für Astronomie. Er bezog das Omni -Magazin, schaute sich die Science-Fiction-Serie The Outer Limits an und versicherte mir, dass es, bis ich Kinder hätte, für alle, auch für Zivilisten, reine Routine sein würde, zum Mond zu fliegen. Bis es so weit war, benutzte er das Teleskop, um in die Küchenfenster der Nachbarn zu schauen. Er spielte mit dem Objektiv, drehte es mit seinen kurzen, dicken Fingern in die eine Richtung und dann wieder in die andere, bis er jeden Gegenstand auf den Küchentheken sehen konnte. Anschließend lehnte er sich zurück und sagte mit großer Befriedigung: »Nabisco.«
    Ich nehme an, dass mir das Ausspionieren im Blut liegt, dieses sinnlose, müßige Verlangen, Einzelheiten aus dem Leben anderer Leuten zu beobachten. Ich drücke mich an das lange, schmale Hotelfenster,

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