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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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große Fehler«, meine Lehrerin befestigte sie mit einer leuchtend roten 1 am Schwarzen Brett. Vielleicht kam mir damals zum ersten Mal die Idee, dass Wut mit Klugheit gleichzusetzen ist. Inzwischen bin ich allerdings älter und verspüre ein gewisses Mitgefühl mit den Entdeckern, die wochenlang in ihren stickigen kleinen Schiffen zusammengepfercht waren, von Skorbut und Durst halbverrückt und von ihrer langen Reise so desorientiert, dass sie natürlich glauben mussten, sie seien in Indien.
Natürlich gaben sie allem entsprechende Namen, die ihre Wünsche widerspiegelten. Gerry und ich setzten die Segel mit der Absicht, Freundschaft verbunden mit Sex zu finden, also taufen wir diesen neuen Kontinent wohl so, egal was er wirklich ist.
    Um uns herum stehen überall Bäume und verbergen unseren Balkon vor den anderen Balkonen, machen ihn sicher und ein Stück weit zu einem privaten Ort, wo man an einem warmen Winternachmittag nackt daliegen kann. Vermutlich zahlt er genau dafür - für diesen Luxus, diese Geräumigkeit, die Illusion, dass wir uns in einem Raum mit hohen Decken und grünen Wänden befinden, Wänden mit Blättern und offenbar Vögeln. Ich könnte mich aufsetzen und nach meiner Brille greifen, weiß aber nicht, ob das etwas bringen würde. Mein Sehvermögen ändert sich, und beim letzten Besuch sagte meine Augenärztin, ich sollte über eine Gleitsichtbrille nachdenken. Als ich strikt »Nein, jetzt noch nicht« sagte, lachte sie nur und meinte, in dem Fall müsse ich aber eine Entscheidung treffen: und zwar ob ich lieber in der Nähe besser sehen würde oder in die Ferne?

Kapitel 20
    Bei meiner Rückkehr aus Miami erwartet mich auf dem AB ein Anruf von der Galeriebesitzerin aus Charleston. Vor ein paar Wochen habe ich ihr ein Foto von einem Topf mit einer neuartigen Glasur geschickt, an der ich gearbeitet hatte, und sie sagt, er gefalle ihr. Die Galeriebesitzerin ist alt und hat eine derart dünne Stimme, dass sie am Telefon nur schwer zu verstehen ist. Sie klingt immer so, als würde sie auseinanderbrechen. Doch sie war mehr als einmal meine Glücksbringerin. Sie ist diejenige, die Gerry erzählt hat, wie er mich finden kann.
    Ich rufe sie zurück, und sie erzählt, dass sie im neuen Jahr wieder einen Tag der Offenen Tür machen und sie mehrere Töpfe haben möchte. Vielleicht dreißig, sagt sie mit ihrer brüchigen Stimme, und einen Augenblick lang denke ich, mich verhört zu haben. Für jemanden, der in der Garage arbeitet, ist das eine Wahnsinnsbestellung, eine Wahnsinnsmenge Arbeit. Wir kommen überein, dass die ersten zehn bis zum 18. Januar bei ihr eintreffen sollen. Weitere zehn im Februar und die letzten im März. Eine monatliche Anlieferung scheint ihr ein guter Rhythmus zu sein. Ich stimme ihr zu.
    Dann, als wir eben auflegen wollen, trillert sie: »Haben Sie nicht etwas vergessen, meine Liebe?«
    »Oh«, sage ich etwas beschämt. »Vielen Dank. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Mrs Chapman.«

    »Nein, meine Liebe. Der Preis.«
    »Ich kann sie für je hundert machen.« Keine Ahnung, warum ich das sage. Es platzt einfach aus mir heraus. In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Topf für hundert Dollar verkauft. Sie zögert ein paar Sekunden, und ich denke, ich war zu habgierig und muss mich darauf einstellen, kritisiert und daran erinnert zu werden, was für einen Gefallen sie mir tut.
    Dann antwortet sie: »Ich denke, das ist in Ordnung so.«
    Den Nachmittag verbringe ich in einem einzigen Rausch. Den Topf, den ich fotografiert hatte, stelle ich auf meinen Knettisch und schaue ihn mir aus jedem Blickwinkel an. Form und Farbe sind gut, doch bei der Oberfläche bin ich mir nicht sicher. Sie ist ein bisschen zu rau, nicht so rau, dass das auf einem Foto sichtbar ist, aber bei einer Berührung wäre es vielleicht doch unangenehm, und wenn Mrs Chapmann hundert Dollar für einen zahlt, geht das nicht. In der Galerie wird sie sie wahrscheinlich für den doppelten Preis verkaufen. Vielleicht sollte ich weniger Schamotte zugeben. Ich rufe Kelly an und bitte sie, Tory nach der Schule abzuholen. Ich bestelle telefonisch mehr Ton, und danach nehme ich das, was ich habe - vielleicht neun Kilo -, aus der Tonne und breite es auf dem Tisch aus.
    Das Kneten und der Prozess des Schneidens haben etwas Stumpfsinniges an sich, normalerweise verliere ich mich dabei in meinen Gedanken. Normalerweise setzt diese aufgequollene, verformbare Masse meinen Verstand außer Kraft und schickt mich in eine Art

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