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Ein Mann zum Abheben

Ein Mann zum Abheben

Titel: Ein Mann zum Abheben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Wright
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ich beim Überqueren die Spiegelbilder meiner Beine sehe. Es ist befremdlich, als würde man über eine Wasseroberfläche gehen. Ich rufe »Kelly?«, erhalte aber keine Antwort. Es ist viel zu früh, um einfach so hereinzuschneien, denke ich, aber auf dem Küchentisch steht Frühstücksgeschirr und eine verlassene Zeitung liegt noch da. Sie müssen wach sein. Ich rufe noch einmal ihren Namen und gehe nach oben.
    Auf der Hälfte der gewundenen Treppe gibt es einen Bereich, in dem keine Musik zu hören ist, eine Stelle zwischen den Lautsprechern, und dort, zwischen dem ersten und zweiten Stock, höre ich ihre Stimmen.

    Sie streiten.
    Nein, es ist nur Marks Stimme, aber er ist verärgert. »Lächerlich.«
    Ich bleibe wie angewurzelt mitten auf der Treppe stehen. Es ist eins, im Nachhinein etwas über einen Streit deiner besten Freundin mit ihrem Mann zu erfahren, in einem Augenblick gelassenerer Rückbesinnung, nachdem sie die verstörendsten Szenen schon ausgeblendet und sich vielleicht ein paar geistreiche Betrachtungen über die Unvernunft der Männer ausgedacht hat. Oder im Café davon zu erfahren, nachdem sie sich das Gesicht gewaschen, Make-up aufgelegt und alles in Gedanken nochmals durchgegangen ist. Es ist aber ganz etwas anderes, direkt hineinzugeraten, den Tonfall des Mannes zu hören und zum ersten Mal Zeugin von dem Ausmaß an Verachtung zu werden.
    Ich könnte verschwinden, könnte die Treppen hinunterund durch die Tür hinausgehen. Die Chancen stehen gut, dass Rosa nie erzählen wird, dass ich da gewesen bin. Doch als ich das gerade machen will und die Hand auf den Treppenlauf lege, um mich umzudrehen, öffnet sich am Ende der Treppe die Doppeltür, und Mark steht in Unterwäsche da.
    Ich weiß nicht, was ihn zornig gemacht hat, aber meine Anwesenheit scheint ihn zu bestärken und alles zu unterstreichen, was ihn stört am Leben mit einer wesentlich jüngeren Frau, die lächerliche Hobbys und lächerliche Freundinnen hat, die am Morgen viel zu früh auftauchen. Ich entschuldige mich, aber er hat die Doppeltür bereits wieder geschlossen. Ich drehe mich um, renne die Treppe hinunter, zurück durch die Küche, wo ich fast mit dem Mädchen zusammenstoße, reiße die Tür auf und sehe, dass der Transporter des Steinmetzen in die Auffahrt eingeschert ist und mich blockiert. Toll. Während ich dem Knaben sage, dass er
zurücksetzen und mich hinauslassen muss, kommt Kelly die Vordertreppe herunter und überquert den Rasen. Sie trägt Marks Bademantel.
    »Es tut mir leid, dass du das mitanhören musstest.«
    »Ich habe wirklich nichts gehört.«
    »Du bist also nur zum Spaß abgehauen?«
    »Ich hätte nicht so früh herkommen sollen. Ich hätte anrufen sollen.«
    »Was ist passiert?«
    Ich werfe einen Blick auf das Auto. Ihr die zerbrochene Töpferware zu zeigen, ist jetzt gegenstandslos geworden, doch sie folgt meinem Blick und geht zur Auffahrt, wobei sie, während sie so dahinstampft, den Bademantel enger um sich wickelt. Mir wird bewusst, dass er die ganze Zeit so mit ihr redet. Sie ist daran gewöhnt. Sonst hätte sie nicht seinen Bademantel gepackt, um herauszukommen - sie hätte sich die Zeit genommen, ihren eigenen zu holen. Dass ich es mitangehört habe, ist das Einzige, was heute Morgen anders ist. Sie schämt sich, und wenn ich es mir genauer überlege, ist vielleicht das Beste, was ich jetzt machen kann, ihr zu zeigen, dass es in meinem eigenen Leben auch nicht rund läuft.
    Ich ziehe die Schachtel, die erstaunlich schwer ist, über den Rücksitz und hebe den Deckel hoch. Zunächst ist Kelly verwirrt und merkt nicht einmal, dass sie auf Töpfe schaut, dann fragt sie mich, ob ich einen Unfall gehabt und sie zerbrochen hätte - eine Frage, die keinen Sinn ergibt. Die Männer haben angefangen, riesige flache Steine aus dem hinteren Teil des Transporters auszuladen und zur Stirnseite des Hauses zu tragen. Sie bleiben stehen, damit Kelly einen prüfen kann. Sie nickt. »Ja. Das sind definitiv Felsen.«
    »Was war hier los?«, frage ich.
    »Mark ist ausgetickt, als er die Rechnung für die Trockenmauer gesehen hat.«

    »War das nicht seine Idee?«
    »Er will, dass ich Geld verdiene, weißt du, etwas beisteuere. Er sagt, er wisse nicht, warum ich vom Nichtstun die ganze Zeit müde bin.«
    »Das ist lächerlich.« Eine unglückliche Wortwahl, die ich aber nicht mehr rückgängig machen kann.
    Sie zuckt die Schultern, hebt die Arme und lässt sie mit einer kunstvollen und beinah schon europäischen

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