Ein Mann zum Heiraten
Natürlich hatte es Momente gegeben, in denen sie traurig darüber nachgegrübelt hatte, was sie verloren hatte und was ihr durch ihre Ehe noch entgehen würde – und nicht nur ihr, sondern auch James. Dabei hatte sie ein starkes, aber diffuses Gefühl des Verlusts verspürt und war völlig verzweifelt gewesen.
“Was ist los?”, wiederholte James und runzelte die Stirn.
Als sie ihn betrachtete, stellte sie fest, wie maskulin er wirkte. Er trug ein weißes T-Shirt und naturfarbene Leinenshorts. Besonders beim Anblick seiner tief gebräunten Beine und seiner muskulösen Arme war sie sich überdeutlich seiner männlichen Ausstrahlung bewusst.
Es war, als würde sie ihn plötzlich mit anderen Augen sehen – als würde sie ein Zimmer betreten, in dem alle vertrauten Gegenstände sich jetzt an einem anderen Platz befanden, und erst in dem Moment ihren Reiz zu schätzen wissen.
Ihr Herz schien mit einem Mal schneller zu klopfen, und sie spürte, wie sie errötete.
“Ist dir nicht gut?”, fragte James.
Nach ihrer Ankunft hatte er jeden Morgen darauf bestanden, ihr das Frühstück, bestehend aus Tee und Zwieback, ans Bett zu bringen. Zuerst hatte sie sich darüber geärgert und ihm vorgeworfen, er würde es ohnehin nur für das Baby tun und nicht für sie. In den letzten Tagen war ihr allerdings klar geworden, dass sie es richtig genoss, so verwöhnt zu werden.
“Nein. Nein, mir geht es gut”, erwiderte Poppy schließlich.
Da sie den Eindruck hatte, sie hätte ihn gestört, bedauerte sie es bereits, ihn so spontan gerufen zu haben. Außerdem …
“Es ist nichts”, fügte sie hinzu und wandte sich ab. “Ich wollte nur wissen, ob du immer noch vorhast, später in den Ort zu fahren.”
“Ja, ich muss tanken und einkaufen …”
Als sie leise aufstöhnte, verstummte er abrupt und eilte auf sie zu. Er musterte sie besorgt, während er sie am Arm berührte. “Wenn es dir nicht gut geht …”
“Damit hat es nichts zu tun”, sagte sie schnell. Strahlend vor Glück fuhr sie fort: “Es ist das Baby. Es bewegt sich. Hier, fühl mal.” Impulsiv nahm sie seine Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Als sie sein Zögern spürte, ließ sie seine Hand sofort los, als hätte sie sich verbrannt. Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie wollte zurückweichen. Doch er hielt sie fest und ließ die Hand auf ihrem Bauch. Seltsamerweise war es ein beruhigendes, tröstliches Gefühl.
Das Baby empfindet es offenbar genauso, dachte Poppy benommen, denn es bewegte sich jetzt noch mehr als vorher. Als sie den halb ungläubigen, halb ehrfürchtigen Ausdruck in seinen Augen sah, lachte sie stolz.
James wirkte auf einmal ganz anders, beinah verletzlich. Er hatte den Kopf leicht geneigt und betrachtete ihren Bauch. Am liebsten hätte sie in diesem Moment die Hand ausgestreckt und ihn festgehalten.
Während sie versuchte, die Bedeutung dessen, was sie erlebte, zu erfassen, schien es ihr, als wäre ihre ganze Welt in ihren Grundfesten erschüttert worden. Sie hatte große Angst und fühlte sich einsamer denn je.
“Sieht so aus, als wird sie dein Talent erben, sich immer bemerkbar zu machen”, erklärte er, bevor er die Hand zurückzog und sich von ihr löste. Obwohl seine Stimme ganz ruhig klang, sah Poppy, dass er gerührt war.
“Sie?”, wiederholte sie heiser. “Möchtest du denn, dass es ein Mädchen wird?”
“Ja”, bestätigte er in dem gewohnt schroffen Tonfall. “Wenigstens …” Er verstummte und schüttelte den Kopf.
Dass er sich eine Tochter wünschte, überraschte sie, denn sie war davon ausgegangen, dass ein Mann wie er nur einen Sohn gutheißen würde. Obwohl James und sie miteinander verwandt waren, wusste sie erstaunlich wenig über ihn, wie sie erkannte. Doch sie lernte ihn immer besser kennen.
Ich lerne ständig dazu, dachte sie, als sie sich später im Garten sonnte und darauf wartete, dass er vom Einkaufen zurückkam. Und nicht nur, was James betraf.
Sie erinnerte sich an das starke Verlangen, das sie bei seinem Anblick empfunden hatte, als er ihr Schlafzimmer betreten hatte. Und als er ihr die Hand auf den Bauch gelegt hatte, war sie von den seltsamsten Gefühlen überwältigt worden …
Verzweifelt versuchte sie sie zu verdrängen, indem sie sie mit den Gefühlen verglich, die sie für Chris empfunden hatte. Doch obwohl diese so lange ihr ganzes Leben bestimmt hatten, waren sie nicht mehr als eine schwache Erinnerung.
Es fiel ihr sogar schwer, ihn sich vorzustellen. Und als sie es tat,
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