Ein Mensch wie Du
bunten Strohzielscheiben schossen.
Wenn er seine Übungen abgeschlossen, die Musikgeschichte oder die Notenlehre, den Klavierunterricht oder die Dramaturgie beendet hatte, saß er oft am Rheinufer und sah auf den ruhigen Zug der Schlepper. Die weißen Personendampfer zogen vorüber … Musikfetzen wehten über das Wasser … Rheinlieder, Schlager … Er winkte ein paarmal den fröhlichen Menschen zu, die auf dem Sonnendeck tanzten, und dachte dann wieder an die Partitur der ›Zauberflöte‹ oder die Entwicklung der französischen Oper.
Abends gingen Greta und Franz in ein Kino oder bummelten auf der Deutzer Seite durch die Anlagen der Messe, vorbei am Tanzbrunnen vor dem halbrunden Staatenhaus; sie saßen auch manchmal auf der Sünner-Terrasse bei einem Eisbecher und betrachteten den Verkehr auf der Rheinbrücke oder die im Abendrot liegenden, wie Goldfiligran wirkenden Türme des Domes.
An jenem Abend, als sie vom Tanzbrunnen zurückkamen und sich auf eine Bank neben dem Kürassierdenkmal setzten, legte Greta ihre Hand auf Krones im Schoß gefaltete Hände.
»Was hast du, Franz?« fragte sie verwundert.
»Nichts, Greta. Bestimmt nichts.« Er versuchte zu lächeln, aber es mißlang.
»Dich bedrückt etwas! Hast du Sorgen? Du spricht nicht mehr so frei mit mir wie früher. Du bist so still geworden, so ernst.«
Er nahm ihre Hand und streichelte sie, aber es war ein mechanisches Streicheln, eine fast gekünstelte Zärtlichkeit, hinter der nicht das Herz stand.
»Glaubst du, daß ich es schaffen werde?«
»Das Studium? Bestimmt, Franz.«
»Noch ein Jahr, Greta, noch zwölf Monate, dann ist die Prüfung, dann kommen die Intendanten und hören uns an. Noch ein ganzes Jahr …«
»Es vergeht so schnell, Liebster«, sagte sie zärtlich.
Er nickte. »Ich habe noch vierhundert Mark«, sagte er zögernd. »Sie reichen kein Jahr. Ich werde in den Semesterferien arbeiten. Vielleicht in einer Fabrik …«
Greta Sanden lehnte den Kopf an seine Schulter. Ihre blonden Haare kitzelten seine Wangen. Er umfaßte die schlanke Gestalt und drückte sie an sich. »Ist es das?« fragte sie leise. »Du bist ein dummer Junge …«
»Greta …«, lachte er, aber in seiner Stimme lag Hilflosigkeit.
»Ich habe etwas gespart … Für die Aussteuer, Franz …«
»Ich nehme es nie an!« rief er und sprang auf. Er kam sich in diesem Augenblick jämmerlich vor, er schämte sich vor der Liebe dieses Mädchens, das er verriet, das er wegwarf für die schönen Augen einer Frau, die kalt waren und doch durchglüht von Dämonie und Lockung.
»Wir brauchen das Geld erst, wenn du die Prüfung bestanden hast. Dann wirst du genug Geld verdienen, und wir können uns alles kaufen, auch ohne mein Geld. Du brauchst es jetzt, und ich gebe es dir …«
»Nein, Greta, nein. Ich nehme es nicht an!«
»Ich habe es für uns gespart.«
»Greta.« Er umarmte sie und küßte sie und umfing sie mit den Armen, sie eng an sich pressend. Über ihre blonden Locken hinweg sah er auf den Rhein, der schwarz durch die Nacht rauschte. »Sie ist jetzt in New York, seit dreiviertel Jahren, sie singt an der Metropolitan. Wie gemein ich bin, wie hundsgemein …«
»Laß uns gehen«, sagte er stockend. »Kommst du mit mir nach Hause?«
Sie nickte stumm und schmiegte sich an ihn.
Sie gingen durch die Nacht, am Ufer des Rheins entlang, und waren glücklich. Auf dem Strom glitt ein leuchtender Palast heran: Eines der weißen Schiffe kehrte aus Königswinter zurück. Die Kapelle spielte … ›Da wo die sieben Berge am Rheinesstrande stehn'n …‹ Lachen scholl über das dunkle Wasser, eine Glocke schellte … Auf der Landebrücke flammten Scheinwerfer auf … Dahinter stand der Dom, in den Himmel stoßend, mächtig, eine Stein gewordene Hymne an Gott.
Während sie durch die Nacht gingen, schämte er sich. »Ich werde sie heiraten«, dachte er. »Noch dieses Jahr … Und ich werde Sandra schlagen – ja, zum erstenmal in meinem Leben werde ich eine Frau schlagen –, wenn sie wieder zu mir tritt.«
Aber während er dies dachte, wußte er, daß er zu dieser Handlung gar nicht fähig war.
Die Ersparnisse, die Greta Sanden auf ein Postsparbuch eingezahlt hatte, betrugen 1.200 Mark. Sie gab mit glücklicher, schenkender Gebärde das ganze Geld und erstickte sein Dankesstottern mit Küssen. Aber mit der Übergabe dieses Geldes war die Hilfe Gretas noch nicht erschöpft … Sie bewarb sich um die Stelle eines Zigarettenmädchens in der Königin-Bar am Ring. Da sie
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