Ein Mensch wie Du
nett aussah und dem Personalchef ihre und Franz Krones Lage schilderte, bekam sie die Stelle. Abend für Abend ging sie nun durch die Tischreihen, einen großen, bunt lackierten Kasten mit allen Zigarettenmarken und Zigarrenkistchen herumtragend … Sie verkaufte, schnitt die Zigarrenspitzen ab, gab Feuer, wehrte sich vor heimlichen Einladungen, bedankte sich mit einem Knicks für das Trinkgeld und sank gegen Morgen erschöpft und wie zerschlagen ins Bett. Vier Stunden Schlaf, dann stand sie um acht Uhr wieder hinter der Theke des Textilladens und verkaufte Oberhemden, Socken und Linonbettwäsche. Tag für Tag, Nacht für Nacht … Das Geld aber gab sie Franz Krone, der verbissen lernte und Professor Glatt von Woche zu Woche neue Rätsel aufgab.
»Wenn Sie so weitermachen, Franz«, sagte der alte Professor einmal ernst und bestimmt, »gehen Sie vor die Hunde! Sie werden immer magerer … Darunter leidet die Stimme. Ein Tenor muß einen Resonanzboden haben – nicht umsonst sind die meisten Tenöre dick! Ich sehe schwarz, wenn Sie leptosomer Mensch weiter Raubbau mit Ihren Kräften treiben. Hungern Sie eigentlich? Haben Sie wirtschaftliche Sorgen?«
»Nein, Herr Professor. Es ist alles geregelt. Ich habe ja die Gärtnerei verkauft.«
Trotz aller Sorgen Professor Glatts wuchs Krones Stimme von Monat zu Monat. Der Wohllaut der italienischen Schule formte sie, rein und klar kamen die Töne. In der Musikgeschichte und der Notenlehre war Krone der Beste der Sammelklassen … Während Greta in der Königin-Bar ihre Zigaretten verkaufte und gegen Morgen todmüde mit der Hauptkasse abrechnete, saß er in seinem Zimmer in Bayenthal unter der Tischlampe und studierte. Er schenkte sich nichts, er war hart gegen jeden Wunsch, früher ins Bett zu gehen und einmal richtig auszuschlafen. »Ich habe den letzten Wunsch meines Vaters mißachtet«, durchfuhr es ihn in den kritischen Minuten, in denen er sich schwach werden fühlte, »ich habe die Gärtnerei verkauft, und ich will zeigen, daß dieses Opfer, dieser schreckliche Verrat nicht umsonst gewesen ist, indem ich ein großer Sänger werde und eines Tages die drei Morgen Land mit den drei Gewächshäusern zurückkaufe, mit dem Geld zurückkaufe, das ich mir ersungen habe. Es wird ein Kreislauf des Schicksals sein, den ich nicht unterbrechen darf.« Und er arbeitete weiter, er versank in der Kompositionslehre und schlug sich mit dem Kontrapunkt herum.
Sandra Belora hatte geschrieben. Aus San Francisco. An Professor Glatt natürlich, aber im letzten Satz des Briefes schrieb sie: »Was machen Ihre Meisterschüler?« Professor Glatt las diesen Satz Franz Krone vor und blinzelte ihm dabei zu. Es gab nur einen Meisterschüler in diesen Jahren, und das war Franz Krone. Sollte Sandra Belora das vergessen haben?
»Sie haben Eindruck gemacht«, meinte Glatt und faltete den Brief zusammen. »Schade, daß Sie sich aus der Belora nichts machen … Sie hat einen langen Arm und könnte Ihnen helfen.«
»Danke.« Es klang hart. Krone wandte sich ab und verkrampfte die Hände auf dem Rücken.
»Na, na.« Professor Glatt schüttelte den Kopf. »Auch wenn die Sandra nicht Ihr Typ ist, brauchen Sie mich ja nicht gleich aufzufressen. Was hat sie Ihnen denn getan?«
»Nichts.« Seine Stimme klang rauh, belegt. »Ich kenne sie ja kaum. Zweimal habe ich sie hier gesehen … Das ist alles.«
Professor Glatt trat zu Franz Krone und drehte ihn an der Schulter zu sich herum. Das bleiche, schmale, eingefallene Gesicht zeigte hektische rote Flecken.
»Hören Sie mal zu, Krone. Sie haben eine gute Stimme, eine sehr gute sogar. Ich mache aus Ihnen einen Star! Aber eines verbitte ich mir: Ich will an Ihnen keine Starallüren sehen! Und jetzt schon gar nicht, wo Sie nichts sind als ein halbfertiger Schüler! Wenn Sie weiter den wilden Mann spielen bei Dingen, die Ihnen nicht passen, gebe ich Sie ab zu Professor Mollter.«
»Herr Professor …« Sein Stottern war echtes Entsetzen. »Ich bin mit den Nerven fertig … Entschuldigen Sie. Ich werde mich zusammenreißen.«
»Hm.« Glatt betrachtete den Mann vor sich und schüttelte den Kopf. »Sie sollten einmal zum Arzt gehen, mein Bester.«
»Nach der Prüfung, Herr Professor. Ich habe jetzt keine Zeit, krank zu sein.«
»Wenn Sie so weitermachen, erreichen Sie die Prüfung nicht.«
Franz Krone schüttelte wild den Kopf. »Wenn ich Ihnen nichts versprechen kann – das weiß ich: Die Prüfung mache ich, und ich werde Sie nicht enttäuschen.«
Am 24.
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