Ein Mensch wie Du
anspruchsvoll und mutig …«
Der Schweiß brach Professor Glatt wieder aus.
Dünner Applaus quoll auf, durch die Tür kam ein großer, schlanker Mann in einem schwarzen Anzug. Auf einem der hinteren Stühle reckte Greta Sanden den Hals. Ihr Herz zitterte, zwischen den Fingern hielt sie ein Taschentuch, vor Erregung zerknüllt. »Franz«, stammelte es in ihr, »ich habe solche Angst um dich, solche schreckliche Angst …« Mit aufgerissenen Augen sah sie, wie Krone die drei Stufen zum Orchester hinaufstieg und sich neben den jungen Dirigenten stellte. Auch dieser war bleich … Die Leitung des Orchesters war seine Prüfung in der Dirigentenklasse.
Intendant Dr. Fischer sah erstaunt zu Professor Glatt neben sich.
»Ist er das?«
»Ja.«
Dr. Fischer schüttelte den Kopf – das gefürchtete Kopfschütteln. »Dieser Mann gehört in ein Lungensanatorium, aber auf keine Bühne.«
Professor Glatt schwieg. Er war wachsbleich im Gesicht, die Lider hinter der dünnen Goldbrille waren halb über die Augen gesunken. Das begrüßende Händeklatschen war verebbt … Der junge Dirigent sah zu Krone hinüber.
Er hob den Taktstock, die Geigen wurden an das Kinn gehoben, die Flöten, Hörner, Fagotte und Klarinetten blitzten auf.
Die Arie des Kalaf aus Puccinis ›Turandot‹.
»Keiner schlafe … Nessun dorma …«
Professor Glatt zuckte wie nach einem elektrischen Schlag zusammen, als die ersten Töne dieses reinen Tenors erklangen. Verstört blickte er zu Dr. Fischer, der mit zusammengekniffenen Lippen geradeaus auf das Podium starrte.
»Er singt italienisch«, durchfuhr es Glatt. »Er singt den Kalaf in italienischer Sprache. Wir haben das ja gar nicht geübt, ich habe immer deutsch singen lassen! Mein Gott, nur ein Fehler, und Dr. Fischer spricht das Todesurteil …«
Franz Krone sang. Was er in den langen Nächten geübt hatte, draußen in Bayenthal in seinem möblierten Zimmer mit dem vergitterten Austritt zum Garten hinaus, in dem die Söhne des Hausbesitzers mit Pfeilen auf eine große Zielscheibe aus Stroh schossen, was er in den langen Nächten verbissen, ohne jemand anderen in sein Vertrauen zu ziehen, gebüffelt und immer und immer wiederholt hatte, bis er es singen konnte, wenn er aus tiefstem Schlaf erwachte, das quoll jetzt aus ihm hervor, rein, sieghaft, jubelnd, die Fesseln sprengend, die ihn noch umklammert hielten, als er bleich und ängstlich im Flur stand und nicht wagte, die wenigen Schritte in den Saal hineinzusetzen. Vier Wochen lang hatte er den Wecker morgens auf vier Uhr gestellt … Wenn er schellte, fuhr er aus dem Schlaf empor, einen Augenblick nicht wissend, wo er sich befand, und dann sang er leise immer wieder die Partien, auf italienisch, auf deutsch, bis er von diesen Arien und Opern träumte und sie noch im Schlaf, im Traum sang.
Dr. Fischer hatte sich vorgebeugt, er hatte die Hände zwischen die Knie gepreßt und starrte auf den Mund des jungen Sängers. »Es ist nicht zu glauben«, dachte er. »Es ist wie in einem Märchen … Da versteckt dieser Glatt ein Genie und vergeht vor Angst, daß es mir nicht gefällt. Welches Timbre, welche Kraft, welche Fülle auch in den hohen Tönen, und doch welche Leichtigkeit der Stimmführung, elegant, souverän, fast schon starhaft manieriert.«
Das Portamento war vollkommen, der Zauber des Messa di voce durchglühte den Gesang … Und jetzt das C … Es stand im Saal, es hielt stand, es ging nicht unter, es brach nicht, es wurde nicht dünner, kein Tremolo, kein Zittern, keine Atemstöße. Dick war es, stark, metallen, ein C voller Sprengkraft … Und jetzt der Gongschlag, das Einsetzen der Posaunen … Dr. Fischer sprang auf, noch ehe das Orchester verklang, und klatschte in die Hände.
Professor Glatt erwachte aus seiner Erstarrung. Er fuhr sich durch die Haare, immer und immer wieder, er zerwühlte sie zu einer Mähne, die seinen Kopf umflatterte.
In das Orchester hinein dröhnte der Applaus.
Der Sänger Franz Krone war geboren …
Am 1. September 1951 trat Franz Krone sein erstes Engagement an. Intendant Dr. Fischer hatte ihn nach München an die Staatsoper berufen.
In den Monaten, die dazwischen lagen, war er durch das Leben wie ein Schlafwandler gegangen. Er hatte Greta Sanden das Geld zurückgegeben, von dem Vorschuß, der ihm von Dr. Fischer sofort gewährt worden war. »Sie fangen gleich wie ein berühmter Sänger an!« hatte er gelacht, als Krone ihn um das Geld bat. »Wenn Sie bei allen Bühnen im Vorschuß stehen, sind Sie
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