Ein Mistkerl zum Verlieben
Vorderseite stand und auf der sie schon so manche sternenklare Nacht verbracht hatte. Den Tag hier draußen zu starten, zu sehen, wie Manhattan erwachte und wie die Sonne hoch über die Wolkenkratzer stieg, schien der perfekte Anfang für diesen Freitag zu sein.
Fast hätte sie vor Schreck ihr Glas fallen lassen, als sie sah, was sich hinter der Lehne der Rattancouch abspielte. Ein kurzer Schrei entwich ihr, als nächstes landete eine ordentliche Portion Saft auf ihrer Bluse und auf der Aussage.
Der neue Nachbar lag – nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte – auf der Couch. Zwischen seinen Beinen tummelte sich eine junge, brünette Frau.
„ Hy“, sagte er, als er Vicky bemerkte, so als würde er nur hier sitzen und Zeitung lesen, grinste sie an und fixierte sie.
„ Verdammte Scheiße“, antwortete Vicky und machte auf dem Absatz kehrt.
Wieder in ihrem Appartement, schloss sie die Glasschiebetür mit einem Ruck und lehnte sich erstmal daran. Dann betätigte sie den Knopf für die Jalousien und verdunkelte ihr Wohnzimmer. Von diesem Knilch da draußen hatte sie wirklich genug gesehen. Ihr Gesicht musste so rot wie eine überreife Tomate sein, so heiß fühlte es sich an. Jetzt war er endgültig zu weit gegangen. Es war seine Sache, was und mit wem er es in seinen eigenen vier Wänden trieb, aber in aller Herrgottsfrühe auf der Gemeinschaftsdachterrasse splitternackt Oralsex zu haben, war selbst für Vicky zu viel. Sie überlegte, wie man die Terrasse am besten Teilen und einen Sichtschutz anbringen konnte. Sie wollte nicht noch einmal mit so einer Situation konfrontiert werden und war sich sicher, dass es bestimmt nicht das letzte Mal gewesen war, dass sie ihren Nachbarn dermaßen überraschte. Im Sommer wollten ihre Eltern aus Los Angeles sie für eine Woche besuchen kommen. Nicht auszudenken, was los sein würde, wenn sie diesen Verrückten bei seinen Aktivitäten überraschte. Vickys Mutter und ihre Großmutter waren New York gegenüber schon immer etwas skeptisch gewesen. Ihre Mutter hatte erst kürzlich gemeint, dass die Stadt ihr einfach viel zu schnelllebig war um sie es sich wünschen würde, wenn Vicky irgendwo anders in den Vereinigten Staaten leben würde, als ausgerechnet in New York. Eine Begegnung mit diesem Typen würde ihre Meinung der Stadt gegenüber wohl nur noch verstärken.
Außerdem war es wieder eine andere Frau gewesen, fiel ihr ein, als sie ihre schmutzige Bluse in den Wäschekorb warf und ins Schlafzimmer ging, um sich etwas Sauberes zum anziehen zu holen. Bei jeder Begegnung mit dem neuen Nachbarn, war er mit einer anderen Frau zugange. Vicky überlegte, ob es möglich war, dass der Typ vielleicht irgendein Playboy war, doch dann ergab die Sache mit dieser Kitty keinen Sinn, die er von einer Escort-Seite „bestellt“ hatte. Warum sollte sich ein Playboy eine Nutte bestellen? Dann verwarf sie diese Gedanken, schlüpfte in eines ihrer Bürooutfits und fuhr doch in die Kanzlei.
Der Nachmittag war wie im Flug vergangen. Nach der Verhandlung – die recht erfolgreich verlaufen war – war Vicky erst kurz zurück in die Kanzlei, hatte noch etwas Papierkram abgearbeitet und danach mit Gloria in die City gefahren, um etwas zu shoppen und dann Lebensmittel einzukaufen. Shoppen war jetzt gerade das Richtige, um ihrer Aufgewühltheit Herr zu werden. Sie würde allerdings ihren Schrankraum erweitern lassen müssen, wenn sie jedes Mal zum shoppen ging, wenn der Verrückte von nebenan sie in den Wahnsinn trieb.
An diesem Abend wollte sie nichts anderes unternehmen, als bei einer DVD und einem Glas Wein auf der Couch zu lümmeln, etwas vom Chinesen zu bestellen, die kühle Abendluft durch die Terrassentür herein zu lassen und sich auf ein entspanntes Wochenende zu freuen. Sie hoffte inständig, dass der Typ von nebenan an einem Freitag Abend nicht zu Hause herumsaß, war sich aber sicher, dass er das nicht tun würde. Immerhin ließ er es schon wochentags und in aller Herrgottsfrühe dermaßen krachen, dass einem hören und sehen verging. Er würde Freitags bestimmt nicht zu Hause sein. Schlimmstenfalls würde er wieder Damenbesuch bekommen, doch Vickys iPod war komplett aufgeladen und bat ein Repertoire an etwa eintausend Titeln. Außerdem hatte sie sich daran erinnert, dass ihre Mutter ihr letzte Weihnachten – nur Gott allein wusste warum – diese merkwürdigen Funkkopfhörer geschenkt hatte, von denen sie dachte, sie würde sie niemals benutzen. Sie hatte sich
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