Ein Mörder kehrt heim
Gedanken wollte er nicht an sich herankommen lassen. Und die Angst schon gar nicht.
»Wenn sie aber ⦠umgebracht wurde, kennt er dich vielleicht nicht.«
Dornröschen kann eiskalt sein, dachte Matti. Logik, kein Gefühl. Aber sie hatte recht. Daran mussten sie denken. Dass der Mörder sie gezwungen hatte, den Abschiedsbrief zu schreiben. Dass Anja tot war. Genauso wie ihr Vater. »Wir müssen sie suchen«, sagte er.
»Ich weië, erwiderte Dornröschen. »Wenn wir es nicht machen, ziehst du allein los.« Sie guckte zur Halle hinüber. Kindergeschrei. »Vielleicht ist sie auch nur abgetaucht. Dafür spricht, dass sie dir die falsche Anschrift genannt hat.«
Matti schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Sie wurde in der Mittenwalder StraÃe überfallen, auf dem Nachhauseweg. Die wohnt in der StraÃe â¦Â«
»Aber in einer anderen Hausnummer«, ergänzte Dornröschen versonnen.
»Aber selbst wenn nicht, es kann verschiedene Gründe geben, eine falsche Adresse zu nennen. Mag doch sein, sie hätte mir ihre richtige genannt, wenn sie keine Angst gehabt hätte. Wir klappern einfach die StraÃe ab â¦Â«
»Pfff«, sagte Dornröschen. »Nachher heiÃt sie Schmidt und nicht Barth.«
»Und stattdessen?«
»Fragen wir den Pseudo-Papa.«
Twiggy kam an. Er war auÃer Puste. Nachdem er das Rad abgestellt hatte, versank er schwer atmend und schwitzend im Stuhl gegenüber von Matti.
Dornröschen erklärte ihm kurz, was sie mit Matti besprochen hatte.
»Klar«, sagte Twiggy. »Kennen wir den Pseudo-Papa?«
»Im Prinzip ja, der war mit Ingeborg Barth zusammen, bis sie gemeinsam mit Georg in den Kampf gezogen ist«, sagte Dornröschen. »Matti, du musst den kennen.«
Matti überlegte. Verdammt, es war ewig her. Er hatte mit Ingeborg wenig zu tun gehabt. Sie war damals in ihren Kreisen richtig prominent gewesen und er der Revolutionslehrling vom Dorf. Er hatte Ingeborg bewundert wie fast alle anderen. Aber sie war unnahbar gewesen. In der Szene wurden einige auf Sockel gestellt. Die mal im Knast gesessen oder zumindest vor Gericht gestanden hatten. Die die theoretischen Artikel schrieben, möglichst abgehobenes Zeug, das nur Erlesene begriffen. Die den Ton angaben auf den Versammlungen und die bei Demos redeten. Es gab die Leute vor dem Megafon und die dahinter. Die einen sprachen, die anderen hörten zu. Von wegen herrschaftsfrei.
»Hast du eine Ahnung, wie lange sie mit Anjas Vater zusammen war, also dem falschen Vater?«, fragte Twiggy.
»Nein, aber die waren ein Paar. Ich bilde mir ein, mit Vornamen hieà der Volker oder so.«
»Wer weià so was?«
»Edeltraut vom Buchladen«, sagte Dornröschen. Sie nahm ihr Handy und wählte. »Heinz, hier Dornröschen, sag mal, ist Edeltraut da? ⦠Gibst du sie mir bitte mal?« Mit den Fingern zeigte sie Matti, dass sie Papier und Stift brauchte. Matti deutete auf Twiggy, der holte einen Kuli aus der Brusttasche seines Blaumanns, und in einer anderen Tasche fand er einen zerknüllten Zettel.
Dornröschen klemmte sich den Zettel unter den Ellbogen des einen Arms, mit der anderen Hand schrieb sie eine Nummer auf. »Danke, Heinz! Bis bald!«
»Die ist krank«, sagte Dornröschen und tippte die Nummer ein.
»Edeltraut? Gehtâs einigermaÃen? ⦠Dürfen wir dich trotzdem besuchen? ⦠Danke, das ist nett ⦠Sollen wir was mitbringen? ⦠Wirklich nicht?«
Sie legte das Handy auf den Tisch. »Gegen vierzehn Uhr«, sagte sie. »Raoul-Wallenberg-StraÃe â¦Â«
»Ach, du lieber Himmel«, sagte Matti. »Marzahn. Wie kommt die denn dahin?«
»Durch ânen Umzug«, sagte Twiggy.
Dornröschen überlegte. »U 8 bis Jannowitzbrücke, dann die S-Bahn Richtung Osten, schon sind wir da.«
»Ruf doch noch mal an und frag, ob sie den Namen so rausrückt«, maulte Twiggy.
»Besser nicht. Die freut sich auf Besuch. Mich kennt die bestimmt noch, wir waren zusammen in einer Frauengruppe. Die wär beleidigt, wenn wir nicht vorbeikämen.«
»Wenn du nicht vorbeikämst«, murrte Twiggy.
»Sie schlieÃt euch gern in ihre Zuneigung mit ein.« Dornröschen gähnte. Dann grinste sie.
Das Wohnzimmerfenster zeigte auf einen anderen Plattenbau. Marzahn war der Inbegriff des DDR -Wohnungsbaus, industriell gefertigte Wohnungen
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