Ein mörderischer Sommer
ist wie sie«, sagt Brian trocken. »Sag ihr, daß, wenn sie zu genügend Ärzten geht, darunter immer ein paar sein werden, die ihr sagen, was sie hören will. Ein Chirurg operiert gern, verdammt noch mal. Das ist seine Existenzberechtigung! Sie haben Schmerzen im Unterleib, gut! Wir operieren Ihnen alles raus. Was, Ihr Magen tut Ihnen weh? Okay, weg damit! Sie leiden unter Kurzatmigkeit? Wer braucht schon zwei Lungenflügel?«
»Halt den Mund, Brian«, befiehlt Eve. »Du machst dich lächerlich.«
»Sachte, sachte, Eve«, versucht Joanne sie zu besänftigen.
»Warum bist du eigentlich gekommen?« fragt Eve plötzlich. »Besuchst du nicht sonst am Samstag immer deinen Großvater?«
»Ich war heute nachmittag bei ihm.« Joanne senkt den Kopf. »Er schlief. Er ist nicht aufgewacht.«
»Genau davor habe ich solche Angst«, flüstert Eve. Joanne sieht sie mit fragendem Blick an. »Ich habe Angst, daß ich, wenn ich meine Augen schließe und einschlafe, nie mehr aufwachen werde.«
»Natürlich wachst du wieder auf.«
»Ich habe Angst vor dem Einschlafen«, wiederholt Eve.
»Du mußt schlafen, Eve.«
»Ich habe Angst, ich könnte sterben!«
»Du stirbst nicht.«
»Ich will nicht sterben, Joanne!«
»Du stirbst bestimmt nicht.«
»Was ist denn dann los mit mir? Warum kann mir keiner sagen, was los ist mit mir?«
»Weil überhaupt nichts mit dir los ist, verdammt noch mal!« schreit Brian.
»Brian …«, beginnt Joanne.
»Nein, Joanne, hör auf, sie ständig zu bemitleiden! Sie kriegt dich sonst noch rum. Dich versucht sie rumzukriegen, ihre Mutter, mich – jeden, der sich um sie sorgt.«
»Du sorgst dich nicht um mich!« kreischt Eve.
»Und damit muß es ein Ende haben«, spricht Brian weiter, ohne auf den Ausbruch seiner Frau einzugehen. »Je mehr wir dieser fixen Idee nämlich nachgeben, je mehr wir Eve Gehör schenken, um so mehr glauben wir ihr zum Schluß. Deshalb habe ich ihre Mutter weggeschickt, und deshalb bitte ich dich, mit deinem Mitleid aufzuhören. Eve braucht Hilfe …«
»Wozu denn? Du bist hier doch der Verrückte!«
»Ich werde noch verrückt, wenn das so weitergeht.«
»Warum haust du nicht einfach ab?« höhnt Eve. »Das willst du doch, oder etwa nicht?«
»Ich will es nicht.«
»Darauf läuft das alles doch hinaus, nicht wahr? Na los, hau schon ab. Du bist ja sowieso nie da. Geh! Geh rüber zu Joanne. Die hat eine ganze Tiefkühltruhe voll mit selbstgebackenen Pies und ein schönes großes Bett mit viel Platz …«
»Eve, beruhige dich«, bittet Joanne.
»Er ist sehr gut im Bett, weiß du«, erklärt Eve. »Er hat so eine hübsche kleine Spezialität mit der Zunge …«
»Mein Gott, Eve …«
»Und er hat einen langen Schwanz, Joanne. Nicht sehr dick, aber ganz schön lang.«
»Halt's Maul!« brüllt Brian, während er mit geballten Fäusten auf seine Frau zugeht.
»Und einen netten harten Hintern. Manchmal will er, daß ich meinen Finger hinein …«
Was jetzt geschieht, verschwimmt vor Joannes Augen: Brian öffnet die Faust, er holt mit der flachen Hand aus und schlägt Eve ins Gesicht. Eves Kopf zuckt zurück, ihr rotes Haar fällt über die gerötete Wange, ihr Körper rutscht seitlich über den Stuhl. Joanne fängt sie auf.
»Hör auf, Brian!« schreit Joanne und versucht, Eves Stuhl in der Balance zu halten, damit er nicht umkippt. In ihrem Blick liegen Angst und Ungläubigkeit. Sie kann die Gewaltszene, deren Zeugin sie geworden ist, nicht fassen.
Brians Hand ist immer noch in der Luft. Er schwankt hin und her. Einen Augenblick lang glaubt Joanne, er wird in Ohnmacht fallen, aber er sieht sich nur fragend um, als ob irgend jemand etwas gesagt hätte, das er nicht versteht. Plötzlich dreht er sich mit einem Ruck um und rennt schweigend in sein Zimmer.
Joanne wendet sich wieder ihrer Freundin zu.
Eve starrt sie mit unverhohlenem Haß an. »Geh nach Hause«, sagt sie.
Joanne ist in der Küche, als es klopft. Seit einer Stunde sitzt sie bewegungslos am Tisch. In ihrem Kopf ist wieder und wieder dieselbe Szene abgelaufen: wie Brian Eve schlug; die Leere in Brians Augen; der Haß in Eves Augen. Geh nach Hause, hört sie Eve noch einmal sagen. Geh nach Hause.
Immer noch klopft es an der Tür. Dann läutet es. Mühsam steht Joanne von ihrem Stuhl auf und geht zur Gegensprechanlage. Sie drückt auf den Sprechknopf. »Wer ist da?« fragt sie. Sie weiß, daß man ihre Stimme in der ganzen Straße hören kann.
»Ich bin es, Brian«, kommt die Antwort.
Joanne
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