Ein mörderischer Sommer
zog ihren Morgenmantel an und ging auf Zehenspitzen nach unten zur Haustür. Die Times lag schon da. Sie hob die schwere Sonntagsausgabe auf, trug sie in die Küche und ließ sie auf den Tisch fallen.
Auf Seite dreizehn stand nicht das geringste über Paul oder seine Kanzlei, nichts über irgend jemanden, den Joanne kannte. Da war etwas über einen Streit innerhalb der Textilgewerkschaft, ein Bericht über einen Hotelbrand, und dann brachten sie noch weitere Details über die Frau, die ganz in der Nähe in Stücke gehackt worden war. Auf was hatte der Anrufer Joannes Aufmerksamkeit lenken wollen? Sie legte die erste Lage der Zeitung beiseite und ging den Unterhaltungsteil durch. Vielleicht würde sie die Mädchen Ende nächster Woche nach Manhattan zu einem Broadway-Musical ausführen. Paul hatte sich vermutlich eine Frau gewünscht, die kulturell mehr interessiert war als sie – eine Frau, die sich bemühte, Karten für die neuesten Theateraufführungen zu ergattern. Aber wenn wirklich, dann hätte er es ihr doch bloß zu sagen brauchen!
Sie war schon bei der dritten Tasse Kaffee angelangt, als Lulu verschlafen in die Küche geschlurft kam. »Es regnet«, verkündete sie, als wäre ihre Mutter irgendwie schuld daran.
»Wahrscheinlich wird es bald aufhören. Was willst du zum Frühstück?«
»French Toast«, sagte Lulu und ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder. Mit einer Hand schlug Joanne ein paar Eier in die Pfanne und fügte schnell Milch, Vanille und eine Prise Zimt hinzu. »Hast du gut geschlafen?« fragte sie. Lulu zuckte nur mit den Achseln und blätterte ohne großes Interesse die Zeitung durch. »Ich habe mir gedacht, vielleicht könnten wir nächste Woche mal ins Theater gehen. Würdest du gern etwas Bestimmtes sehen?« Lulu schüttelte teilnahmslos den Kopf. »Wie wäre es denn mit dem neuen Stück von Neil Simon?«
»Das wäre ganz gut«, meinte Lulu. Sie starrte hinaus in den Garten. »Wann werden die dort draußen endlich fertig sein?«
»Bald, hoffentlich.« Joanne legte zwei Scheiben labbriges Brot in die Pfanne.
»Kommt Daddy mit ins Theater?«
Joannes Hände begannen zu zittern. »Ich glaube nicht.«
»Können wir ihn nicht darum bitten?«
Joanne zögerte. »Ich dachte, wir drei machen das mal allein.«
»Ich würde Dad gern fragen, ob er mitkommt«, beharrte Lulu. »Darf ich?«
»Natürlich«, antwortete Joanne. Sie hoffte, das Thema damit abschließen zu können. »Wenn du willst.«
»Warum ist Daddy weggegangen?« fragte das Kind unvermittelt.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Joanne. »Hat er es dir nicht erzählt?«
»Mir hat er gesagt, er will eine Weile allein sein, um über alles nachzudenken. Was ist ›alles‹? Und warum kann er nicht zu Hause nachdenken?« fuhr Lulu in anklagendem Ton fort.
»Ich weiß es nicht, mein Schatz«, antwortete Joanne, der Wahrheit entsprechend. Sie legte den fertigen Toast auf einen Teller und stellte ihn vor Lulu auf den Tisch. »Das mußt du schon deinen Vater fragen.«
Mit wilder Entschlossenheit begann Lulu, ihr Frühstück in sich hineinzustopfen; dabei mied sie sorgfältig den Blick ihrer Mutter.
»Ist es wegen mir?« fragte das Kind schließlich, unfähig, seine Tränen noch länger zurückzuhalten. »Weil ich nicht gut in der Schule bin?«
Joanne brauchte einige Sekunden, um diesen Gedankengang nachzuvollziehen. »Aber nein, Liebling«, versicherte sie ihrer Tochter hastig. »Daß Daddy ausgezogen ist, hat nichts mit dir zu tun. Außerdem«, fügte sie hinzu und strich Lulu ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, »bist du doch nicht schlecht in der Schule.«
»Ich habe nicht so gute Noten wie Robin.«
»Wer sagt das?«
»Robin.«
»Natürlich!«
»Robin ist in letzter Zeit so komisch. Hast du das auch bemerkt?«
»Noch komischer als sonst?« fragte Joanne, und Lulu lächelte. »Auf jeden Fall brauchst du dir wegen deiner Noten keine Sorgen zu machen. Robin ist ein anderer Typ von Schüler als du. Sie tut sich leicht mit dem Auswendiglernen. Das heißt aber nicht, daß sie gescheiter ist als du.«
»Ich habe dich nicht um einen Vortrag gebeten«, schmollte Lulu und verließ die Küche.
Joanne spülte gerade den gröbsten Schmutz von Lulus Teller, als das Telefon klingelte. Argwöhnisch warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war Punkt sieben. »Hallo?« fragte sie in den Hörer hinein und schielte zur New York Times hinüber, die auf dem Küchentisch lag.
»Rate mal, wer bald ein Filmstar sein
Weitere Kostenlose Bücher