Ein mörderischer Sommer
was ich meine«, sagte ihre Schwägerin aus fünftausend Kilometern Entfernung noch einmal.) »Aber für eine Tasse Kaffee habe ich noch Zeit«, sagte er in freundlicherem Ton.
»Wo?« fragte Joanne. Ihr Blick glitt über den leeren High-School-Korridor.
»Hier ist doch eine Cafeteria, oder?«
»Hier? In der Schule?«
»Gibt es einen besseren Ort, um über Robins Probleme zu reden?«
Sein Raffinement ist bewundernswert, dachte Joanne, als ihr Mann sie am Arm nahm und die breite Treppe hinunter in die Cafeteria führte. Mit einem einfachen Satz hatte er alles gesagt: Sie waren hier, um über die Probleme ihrer Tochter zu reden, nicht über ihre gemeinsamen; er war nicht gewillt, weiterzugehen, der Versuch, mehr zu erreichen, würde in Anbetracht des Zeitpunkts und des Orts außergewöhnlich unpassend sein. Bleiben wir ganz locker, warnte er sie, ganz unkompliziert und, vor allem, emotionslos.
Joanne griff nach dem Treppengeländer, um sich zu stützen, nachdem Paul ihren Arm losgelassen hatte. Sie fühlte ihre Knie aneinanderschlagen und verlangsamte den Schritt; sie hatte Angst, zu fallen und ihn noch mehr in Verlegenheit zu bringen. Der Geruch von Essen begann sich mit anderen wohlvertrauten Gerüchen zu vermischen: mit dem Geruch von alten Socken und Turnsälen, Kreide und Tafeln, Erbitterung und Enthusiasmus. Mit dem Geruch von Jugend, wurde Joanne jetzt klar, und sie sah Eve und sich selbst in den beiden Mädchen, die kichernd neben ihren geöffneten Schulspinden standen, in deren Türen die Fotos der neuesten Teenager-Idole klebten.
»So«, sagte Paul, stieß die Doppeltür zur Cafeteria auf und trat zurück, um Joanne vorangehen zu lassen.
(»Hierher!« rief Eve ihr sofort zu, sprang auf und ab in ihrem Stuhl. »Du kannst das Sandwich haben, das meine Mutter mir gemacht hat – wieder Fleischwurst, ob du es glaubst oder nicht. Wir müssen Aktien von einer Fleischwurstfabrik besitzen! – Was hat deine Mutter dir für eins gemacht? Thunfischsalat, toll, tauschen wir!«)
»Was möchtest du?« Paul nahm ein Tablett vom Stapel und schob es auf der Stahlunterlage in Richtung Kasse.
»Nur Kaffee«, sagte Joanne, schnippte sich in die Gegenwart zurück und sah Eve in einem großen, schlanken, vielleicht fünfzehnjährigen Mädchen, deren dickes rotes Haar zu einem ungestümen Pferdeschwanz zusammengefaßt und von einem dunkelgrünen Band gehalten wurde.
Es waren nur wenige Schüler in dem großen Raum mit den in kerzengeraden Reihen aufgestellten Tischen. Einige schauten zu ihr herüber, als sie Paul zu einem Tisch am Fenster folgte. Das Fenster lag erhöht, so daß sie vom Schulhof nur Füße sahen. Paul nahm die zwei Becher von dem schmutzigen orangefarbenen Tablett, schob es auf den Nebentisch und begann, seinen Kaffee zu studieren, als ob er erwartete, daß man ihn jeden Moment darüber ausfragen werde. Jetzt erinnerte er Joanne sehr an die Tochter, über die zu sprechen sie hier saßen. »Nun, was denkst du über das, was Avery uns zu sagen hatte?« fragte er endlich.
»Ich glaube, er macht sich große Sorgen um Robin.«
»Du findest nicht, daß er ein bißchen übertreibt?«
Es ist ja nicht so, daß in letzter Zeit jeder übertreibt, wollte sie schon sagen; statt dessen antwortete sie: »Nein, finde ich nicht.«
»Ich denke halt nur, es ist Juni, mein Gott, die Kinder sind unruhig, bald ist Schluß mit der Schule, es finden nur noch die Abschlußprüfungen statt, und er hat ja zugegeben, daß Robin es auf jeden Fall schafft.«
»Er macht sich doch über das nächste Schuljahr Sorgen, über ihre Einstellung …«
»Bis zum Herbst wird alles wieder in Ordnung sein mit ihr.«
»Ja, meinst du? Wieso denn?« Joanne war von ihrer eigenen Antwort genauso überrascht wie ihr Mann. »Wird sich die Situation bis zum Herbst wirklich geändert haben?« fragte sie beharrlich weiter.
»Joanne …«
Joanne sah hinauf zu den Deckenfliesen. »Entschuldige«, sagte sie schnell. »Aber ich finde, wir dürfen diese Sache nicht so locker sehen.«
»Niemand sieht die Sache locker. Ohne Frage müssen wir mit Robin sprechen und ihr die Tragweite ihrer Handlungen klarmachen, ihr sagen, daß sie es sich nicht leisten kann, das nächste Schuljahr so zu beginnen, wie sie dieses beendet hat, daß sie den Unterricht regelmäßig besuchen muß und daß Schwänzen völlig unakzeptabel ist.«
»Wann werden wir ihr das alles denn sagen?«
Paul schwieg und nippte lange an seinem Kaffee. »Ich rede mal am Wochenende mit
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