Ein mörderischer Sommer
Klimaanlage; warum war ihr so heiß? Sie ließ das Kleid zu Boden fallen – es war nicht das richtige. Sie sah darin aus wie eine ältliche Matrone. Auch wenn du das im Grunde bist, sagte sie sich, willst du doch nicht so aussehen. Es war zu streng, zu steif, zu altmodisch mit seinem adretten kleinen Peter-Pan-Kragen und dem blauen Ledergürtel. Sie haßte dieses Kleid. Was war in sie gefahren, daß sie es überhaupt gekauft hatte? Wenn es ein Foto gäbe, auf dem ich mit diesem Kleid abgebildet bin, dachte sie, würden sie ganz bestimmt dieses Bild in allen Zeitungen verwenden, nachdem mein verstümmelter Leichnam entdeckt worden ist. Opfer Nummer vier, sah sie über ihrem lächelnden Gesicht geschrieben stehen. Attraktiv, würden die Leute sagen. Nett. Normal.
Vielleicht sollte sie jetzt rauslaufen, dachte sie übermütig, und sich in einem dieser Fotoautomaten, wo man für einen Dollar vier Schnappschüsse erhielt – oder was es heutzutage kostete –, fotografieren lassen, und zwar mit einem kleinen Zettel an den Peter-Pan-Kragen gesteckt, auf dem in großen schwarzen Druckbuchstaben stand: ›Ich habe es euch ja gesagt.‹ Nein, berichtigte sie sich selbst und schob das Kleid mit dem Fuß beiseite, in dunkelblauen Buchstaben. Damit es zum Kleid paßte. Der Zettel mußte unbedingt zum Kleid passen.
Sie nahm ein weiteres Kleid vom Bügel, einen Ladenhüter, weißes Leinen, den die Verkäuferin von Bergdorf Goodman's ihr gegen ihr besseres Urteil aufgeschwatzt hatte. Was für ein besseres Urteil? fragte sie sich, als sie sich das Kleid vor den Körper hielt. Es war zweifellos das schickste Stück, das sie besaß, aber es war beinahe durchsichtig, deshalb würde sie einen Unterrock tragen müssen, und es war zu heiß, um einen Unterrock zu tragen, und außerdem knitterte Leinen viel zu schnell. Zwar hatte die Verkäuferin Joanne versichert, es müsse verknittert aussehen, aber Joanne hatte sich in verknitterten Kleidern immer unwohl gefühlt – sie war dann ständig versucht, nach dem Bügeleisen zu greifen –, und es war schon schlimm genug, wenn sie sich unwohl fühlte, da wollte sie nicht auch noch danach aussehen. Sie wollte schön aussehen. Sie wollte, daß Paul einen einzigen Blick auf sie warf und sie sofort umarmte und ihr sagte, wie leid es ihm tue, welch ein Narr er gewesen sei, und ob sie ihm nicht bitte vergeben werde und ihn zurücknehme, den Rest seines Lebens werde er damit verbringen, es wiedergutzumachen – und das Ganze vor Robins Mathematiklehrer Mr. Avery, der dann lächeln und sagen würde, er sei sicher, daß Robins Probleme sich nun ganz von selbst lösen würden, und es tue ihm leid, daß er sie beunruhigt habe. Und sie würden ihm zulächeln, Tränen der Dankbarkeit würden ihre glücklichen Gesichter herabfließen, und sie würden ihm sagen, er brauche sich nicht zu entschuldigen, schließlich sei er derjenige, der sie wieder zueinandergebracht habe.
Joanne warf das weiße Leinenkleid zu Boden und fühlte eine Träne an ihrer Wange herablaufen. Nie wird das geschehen, dachte sie. Es würde deshalb nie geschehen, weil sie nichts anzuziehen hatte! In einer Stunde würden Paul und sie in Mr. Averys Büro zusammentreffen – mein Gott, in einer Stunde! –, und sie würde dieselben alten Sachen tragen wie die Frau, die er verlassen hatte, und Paul würde sie ansehen und lächeln – ihr schäbiges Aussehen würde seinen Entschluß, sie zu verlassen, nur noch verstärken –, und ohne sich zu berühren, würden sie nebeneinandersitzen, immer noch besorgte Eltern, wenn sonst schon nichts, und sie würden sich anhören, was Mr. Avery ihnen zu sagen hatte, und dann würden sie gemeinsam zu Mittag essen – Paul hatte ihrem Vorschlag, zu Mittag zu essen, zugestimmt, vielleicht war das ein Zeichen, daß er sie vermißte? – und würden über Mr. Averys Bedenken sprechen und herauszufinden versuchen, wie man Robins Probleme auf eine zivilisierte Art und Weise lösen könnte. Zivilisiert! Genau das war das Problem mit allen ihren Kleidern. Sie waren so zivilisiert. Sie konnte sich ohne weiteres in jedem einzelnen von ihnen begraben lassen.
Das Telefon klingelte.
Joanne stand nackt mitten in ihrem begehbaren Kleiderschrank und starrte in Richtung Telefon, ohne sich vom Fleck zu rühren. Er wußte, daß sie hier drin war, dachte sie und fühlte neuen Schweiß an sich ausbrechen. Irgendwie konnte er in diesen kleinen, fensterlosen Raum hineinsehen; er wußte, daß sie nackt war;
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