Ein mörderischer Sommer
gelogen habe? Eve ist empört.
Brian hat mir erzählt, daß ihr seit Jahren nicht mehr miteinander geschlafen habt.
Dummchen, tadelt Eve sie, während sie Joannes Beine kräftig trockenreibt. Weißt du denn nicht, daß man Brian kein Wort glauben darf? Er ist ein entsetzlicher Lügner. Sie rubbelt Joannes Oberschenkel so fest, daß Joanne zu bluten beginnt. Oh, schau mal, sagt Eve grausam lachend, du hast deine Periode bekommen. Hilflos starrt Joanne auf das Blut zwischen ihren Beinen. Hier sind deine Schlüssel, triezt Eve sie, steht auf und schleudert die silberne Schlüsselkette in den tiefen Teil des Pools. Spring rein, sagt sie lachend. Das Wasser ist wunderbar.
Wenn Eve dich bitten würde, von der Brooklyn Bridge zu springen, hört sie ihre Mutter fragen, würdest du es tun?
Joanne springt.
Im Wasser tauchend, hört sie das Telefon klingeln. Sie ertrinkt.
Beginnen werde ich damit, daß ich Ihren Slip herunterziehe und Sie verhaue, ruft ihr vom anderen Ende des Pools eine Stimme zu. Sie dreht sich um und sieht jemanden auf sich zuschwimmen; das Wasser zwischen ihnen ist voller Blasen. Sie kann nicht erkennen, wer es ist. Die Schneide eines langen Messers fängt unter Wasser die Sonnenstrahlen auf. Sie wird geblendet. Sie weiß nicht mehr, aus welcher Richtung der Schwimmer auf sie zukommt. Plötzlich fühlt sie Arme um ihren Körper und die kalte Schneide des Messers an ihrer Kehle.
Es ist ein Traum, macht sie sich klar, zwingt sich, die Augen zu öffnen. Es ist ein Traum.
Als sie die Augen öffnete, klingelte das Telefon noch immer. Joanne beugte sich hinüber, ihr ganzer Körper schweißbedeckt, und hob den Hörer auf. Was bleibt mir schon übrig, dachte sie dumpf. Am Montag würde sie die Telefongesellschaft anrufen und um eine neue Nummer bitten. Bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als jeden verdammten Anruf zu beantworten. Es konnte das Baycrest-Pflegeheim sein, sagte sie sich, aber sie wußte, das Pflegeheim war es nicht. Oder es war Paul.
»Beginnen werde ich damit«, sagte die dumpfe, rauhe Stimme, als wäre sie nie unterbrochen worden, »daß ich Ihren Slip herunterziehe und Sie verhaue, und aufhören werde ich damit«, fuhr sie fort, schwieg dann eine dramatische Pause lang, »daß ich Sie umbringe.«
Joanne erhob sich, den Hörer immer noch in der Hand, und ging ans Fenster. Sie zog die Vorhänge auf und starrte hinaus zu dem leeren Betonbecken, versuchte verzweifelt zu erkennen, wer die schemenhafte Gestalt war, die unerbittlich durch die Dunkelheit auf sie zuschwamm.
17
Immer noch klingelt das Telefon, als Joanne Hunter sich vom Boden des tiefen Teils ihres leeren, unfertigen Swimmingpools aufrafft und ins Haus zurückgeht. Die Mädchen sind ins Sommerlager gefahren. Zum erstenmal in ihrem Leben ist sie ganz allein. Sie hat das Haus für sich. Sie erwartet niemanden. Sie schielt zum Telefon hinüber. Jetzt sind nur noch wir beide da, sagt er.
Ohne das beharrliche Klingeln zu beachten, schenkt Joanne sich ein großes Glas Magermilch ein. In letzter Zeit trinkt sie viel Milch, seit Eve ihr erklärt hat, daß Frauen mehr Kalzium als Männer benötigen, um ihre Knochen elastisch zu halten und deren Verhärten im Alter zu verhindern. Sie lacht, und ein Teil der Milch rinnt ihr aus den Mundwinkeln. Die Vision, wie sie als abgeschlachtete Leiche auf den zartrosafarbenen Steinplatten neben dem Swimmingpool liegt, kehrt zurück. Ums Alter wird sie sich keine Sorgen machen müssen, denkt sie. Sie trinkt den Rest der Milch und sieht das Spiegelbild ihres Großvaters in dem perlgrauen Belag, den die Milch am Boden des Glases hinterläßt. Wenigstens wird den Kindern meine Senilität erspart bleiben, denkt sie und beglückwünscht sich dazu, daß sie immer fähig ist, die beste Seite einer Situation zu sehen. Vielleicht sollte sie einen Antwortdienst beauftragen, überlegt sie, gibt die Idee aber wieder auf. Sie hat Paul erzählt, die Anrufe hätten aufgehört. Sie will sich nicht dadurch verdächtig machen, daß sie einen Antwortdienst beauftragt. Außerdem wäre es ihm sowieso egal – das hat er ihr gesagt. Das Telefon hört auf zu klingeln.
Das Haus ist jetzt völlig still, so still wie nie zuvor, obwohl sie schon oft allein war. Aber das war etwas anderes, denn es war nur für kurze Zeit. Ein paar Stunden vielleicht, niemals mehr als einen Tag. Immer war da jemand, für den sie verantwortlich war, dem sie antworten konnte. Jetzt ist niemand da. Sie hat keinen festgelegten Tagesablauf.
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