Ein mörderischer Sommer
»Sind die Mädchen heute gefahren?«
»Paul hat sie heute morgen zum Bus gebracht. Inzwischen sind sie wohl schon auf halbem Weg zum Lager.«
»Hat Robin Schwierigkeiten gemacht?«
»Nein.« Sie sieht Robin vor sich, wie sie an der Treppe steht und sich beim Kuß ihrer Mutter verkrampft. »Ich glaube, im Grunde ist sie erleichtert, wegfahren zu können, obwohl ich nicht annehme, daß sie das zugeben würde. Ich hoffe bloß, daß wir das Richtige tun«, fährt sie fort. Sie hat sich doch vorgenommen, über all das nicht mehr nachzudenken.
»Aber sicher«, sagt Eve rasch, was Joanne erstaunt, denn sie hatte das Gefühl, Eve höre nicht richtig zu. »Ein paar Monate auf dem Land, die frische Luft, die vielen anderen Kinder, ununterbrochene Aufsicht durch Erwachsene …«
»Hoffentlich hast du recht.«
»Habe ich jemals nicht recht gehabt?«
Joanne lacht. »Hast du Lust, spazierenzugehen? Ich muß mal raus.«
»Bist du verrückt? Ich käme nicht weiter als bis zur nächsten Straßenecke.«
»Ach, komm«, bittet Joanne. »Es würde dir guttun. Es würde mir guttun«, verbessert sie sich sofort.
»Meine heutige gute Tat?«
»In fünf Minuten vor dem Haus«, sagt Joanne und legt auf, bevor Eve es sich wieder anders überlegen kann.
»Also, was für Untersuchungen stehen diese Woche an?« Joanne und Eve drehen gerade die dritte Runde um den Block. Sie haben bereits über die Wettervorhersage gesprochen – weiterhin sonnig – sowie über Joannes Zehennägel – weiterhin lila –, was zum Thema Tennis führte, zu Steve Henry und schließlich dazu, daß Joanne nach Eves Arztterminen fragt.
»Du lenkst vom Thema ab«, meint Eve.
»Da gibt es nichts zu sagen«, antwortet Joanne. »Warum soll ich teure Tennisstunden nehmen, wenn ich niemanden habe, mit dem ich spielen kann? Wenn es dir bessergeht, fangen wir gemeinsam wieder mit dem Unterricht an. Ich verstehe nicht, warum du daraus eine so große Sache machst.«
»Steve Henry ist die große Sache! Bei dem bist du jetzt an der Reihe. Du brauchst bloß zuzugreifen.«
»Ich will ihn nicht.«
»Warte mal«, sagt Eve, bleibt plötzlich stehen und schlägt sich mit der flachen Hand auf ein Ohr. »Mit meinem Gehör stimmt offensichtlich auch etwas nicht mehr. Ich habe doch tatsächlich geglaubt, ich hätte gehört, wie du gesagt hast, du willst Steve Henry nicht.« Sie lacht, dann wendet sie ihr Gesicht Joanne zu, reißt die Augen weit auf und legt ihrer Freundin die Hände auf die Schultern. »Bitte sag, daß du das nicht gesagt hast.«
Joanne lacht und schüttelt den Kopf. »Warum denn nicht, Herrgott noch mal? Und bitte komm jetzt nicht mit dem deprimierenden Unsinn, du seist eine verheiratete Frau.«
»Ich liebe Paul«, flüstert Joanne. Was soll sie sonst schon sagen?
»Ja und?«
»Und also liebe ich nicht Steve Henry.«
»Niemand verlangt von dir, daß du den Mann lieben mußt! Um Himmels willen, wer hat denn von Liebe gesprochen? Das ist wahrscheinlich das letzte, an was Steve Henry denkt! Was natürlich nicht heißen soll, daß du nicht unendlich liebenswert bist.«
»Können wir bitte von etwas anderem sprechen?«
Eve schweigt.
»Du hast mir noch immer nicht gesagt, welche Untersuchungen diese Woche anstehen.«
»Am Montag beim Gynäkologen …«
»Du warst doch schon bei drei Gynäkologen.«
»Am Dienstag«, fährt Eve fort, ohne auf Joannes Zwischenruf einzugehen, »finden einige Tests in der St.-Francis-Herzklinik statt. Und am Donnerstag habe ich einen Termin bei einem Hautarzt in Roslyn, Dr. Ronald Gold heißt er, glaube ich, nein, warte mal, das ist nächsten Donnerstag, diesen Donnerstag sind es Röntgenaufnahmen im Jüdischen Krankenhaus.«
»Du gehst ja ausgesprochen ökumenisch vor.«
»Ich gebe eben jedem eine Chance.«
»Aber warum zum Hautarzt?«
Eve bleibt stehen und schiebt sich mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht. »Mein Gott, Joanne, schau mich doch an. Ich bin grün im Gesicht!«
»Du hast noch nie einen rosigen Teint gehabt«, bringt Joanne ihr sanft in Erinnerung.
»Nein, aber wie verschimmeltes Brot habe ich auch nie ausgegeben.«
»So schaust du auch jetzt nicht aus.« Joanne lacht. »Ich finde, du siehst gut aus. Ein bißchen blaß vielleicht …«
»Liebe macht blind.« Sie reibt sich die Stirn. »Sieh dir das an!«
»Was denn?«
»Diese Hautschuppen! Und schau, hier!« Sie streckt Joanne die Hände mit den Innenflächen nach unten entgegen.
»Was soll ich denn da anschauen?«
»Die Adern,
Weitere Kostenlose Bücher