Ein mörderischer Sommer
dein Vater ist und ein Recht hat, es zu erfahren«, antwortete Joanne und senkte den Kopf.
»Welche Rechte hat er denn noch?« fragte Robin.
»Er ist dein Vater.«
Sie hörte Robin höhnisch lachen.
»Wir werden uns gemeinsam eine angemessene Bestrafung überlegen«, erklärte Joanne und beobachtete, wie Robins Augen sich mit Tränen füllten. »In der Zwischenzeit, bis ich mit ihm sprechen kann, hast du Hausarrest.«
»Was?«
»Du hast mich gehört. Keine Rendezvous, kein Ausgehen am Abend. Wenn du nicht für die Jahresabschlußprüfungen in der Schule bist, bist du zu Hause, und zwar zunächst mal, um zu lernen. Verstehst du?«
Robin sagte nichts; ihr ganzer Körper strahlte größte Nervosität aus.
»Verstehst du?«
»Ja«, bellte Robin. »Kann ich jetzt ins Bett gehen?«
»Geh ins Bett«, befahl Joanne ihr gleichzeitig.
Sie stand in der Mitte des jetzt leeren Wohnzimmers. »Na, da habe ich ja ganz schönen Mist gebaut«, sagte sie laut zu allen Geistern, die vielleicht noch zuhörten. Dann ging sie zur Haustür, schloß sie zweimal ab und drückte auf den untersten Knopf des Alarmsystems, um es zu entsichern. Dann zog sie sich in die kalte Behaglichkeit ihres leeren Betts zurück.
Sie träumte.
Sie wußte, daß es ein Traum war, denn es gab keinerlei Verbindungen, keine Und oder Aber oder Jedoch, die die unzusammenhängenden Gedanken miteinander verbanden. Jetzt stand sie vor ihrer Haustür und kramte in der Handtasche nach den Schlüsseln, im nächsten Augenblick war sie in der Küche und ließ den Inhalt zerbrochener Eierschalen in eine große Mixschüssel gleiten.
Wenn du sie für Paul machst, sagt die Blondine, brauchst du dich gar nicht weiter zu bemühen. Er haßt Zitronenbaiser-Pies, er hat sie immer schon gehaßt.
Ich mache sie nicht für Paul, sagt Joanne trotzig. Ich mache sie für mich.
Egoistisches Mädchen, du mußt bestraft werden, schimpft Eves Mutter, kommt näher und verschwindet dann wieder, nur ihre Stimme bleibt, die Cheshire-Katze, die eine braunhaarige Matrone im mittleren Alter mit Alice verwechselt. Töchter sind nun mal so. Nie kann man ihnen genug geben. Nichts, was man tut, ist ihnen recht. Du versuchst es. Du arbeitest dir die Finger wund, und was bekommst du dafür?
Wunde Finger! fallen die Country-und-Western-Sänger aus dem Radio in Harmonie ein.
Mach das leiser, Mom, ich versuche zu lernen, jammert Lulu vom oberen Stockwerk her.
Entschuldige, mein Liebling, sagt Joanne schnell, dies sind laute Eier.
Im nächsten Augenblick schwimmt sie im tiefen Teil ihres Swimmingpools. Das Wasser ist warm; es ist ein sonniger Tag; ihre Schwimmstöße sind kräftig und rasch. Sie trägt einen Badeanzug, den sie noch nie gesehen hat, schwarz, mit Trägern in einem fluoreszierenden Orange; der Anzug umschließt ihren noch kaum pubertären Körper wie ein schwarzer Gummistrumpf. Sie hat keinen Busen, schmale Hüften, und ihre Knie reiben, wie bei vielen Heranwachsenden, linkisch gegeneinander. Wenn sie lächelt, wird ihre Zahnspange sichtbar. Sie raucht eine seltsame Zigarette, von der ihr schwindlig wird, was sich auf ihre Schwimmzüge auswirkt. Sie will sie ausspucken, aber die Zigarette verfängt sich in den Klammern der Zahnspange. Außerdem, wenn sie das dreckige Ding in den Pool spuckt, wird Paul wütend sein. Sie zahlen gutes Geld an Leute, die diesen Pool sauberhalten. Sie hebt den Blick. Einer der Arbeiter von Rogers Pools steht über ihr, der magere mit dem dunklen Haar, der Lulu so unheimlich ist. Sie müssen bestraft werden, sagt er zu ihr. Beginnen werde ich damit, daß ich Ihren Slip herunterziehe und Sie verhaue. Er beugt sich über sie, sein Arm ist ausgestreckt, um Joanne aus dem blauen Wasser zu ziehen – blau, sagt er, wie Ihre Augen.
Meine Augen sind haselnußbraun, verbessert sie ihn. Sie fühlt, wie ihr Körper aus dem Wasser gezogen wird, ihre Knie reiben gegen den Beton, während sie bäuchlings auf die zartrosafarbenen Steinplatten gelegt wird. Eigentlich, fährt sie fort, sind meine Zehennägel gar nicht mehr blau. Sie sind jetzt eher lila.
Du bist vielleicht mäklig! sagt Eve, über Joanne gebeugt, die plötzlich auf dem Rücken liegt. Eves Grinsen ist breit, ihre Augen glitzern wie das Chlor im Wasser neben ihnen.
Habe ich meine Schlüssel bei dir vergessen? fragt Joanne. Eve schweigt. Mit einem schweren rosaroten Handtuch trocknet sie Joannes Beine ab. Warum hast du mich über dein Sexualleben angelogen? will Joanne wissen.
Wer sagt, daß ich
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