Ein mörderischer Sommer
Menschenskind!«
Joanne sieht ein paar völlig normale blaue Adern, die durch Eves halb durchsichtige Haut scheinen. »Was ist denn los mit ihnen?« fragt Joanne und zeigt ihre eigenen Hände her.
Eve betrachtet sie lange. »Oh«, sagt sie, »deine Adern sind größer als meine.«
»Das ist ein sehr exotischer Zustand«, erzählt Joanne ihr, »man nennt ihn fortgeschrittenes Alter.«
»Ist das fortgeschrittene Alter auch dafür verantwortlich, daß mein ganzer Körper austrocknet?«
»Wie, was? Was meinst du damit?«
»Ich spreche von der Tatsache, daß in meinen Ohren kein Schmalz mehr ist und kein Schleim mehr in meiner Nase.«
»Wie meinst du das? Woher weißt du das?«
»Woher ich das weiß? Ich habe es geprüft. Woher soll ich es sonst wissen?«
»Was soll das heißen, du hast es geprüft?« fragt Joanne. »Sitzt du den ganzen Tag da und bohrst in der Nase und in den Ohren?«
»Das ist es ja gerade, es gibt nichts, wonach ich bohren könnte!«
»Eve, findest du nicht, daß dieses Gespräch geradezu lächerlich ist?«
»Joanne, schau mal«, bittet Eve. Ihre Stimme hebt sich immer wieder zu Betonungen. »Ich weiß ganz einfach nicht, was mit mir los ist. Vielleicht benehme ich mich ja wirklich ein bißchen seltsam, aber irgend etwas ist los mit mir. Mein Körper funktioniert nicht mehr. Ich habe ständig Schmerzen. Und niemand kann mir sagen, was es ist. Ich kenne meinen Körper Joanne, ich weiß, was bei mir normal ist und was nicht.«
»Beruhige dich wieder«, rät ihr Joanne und legt den Arm um Eves Taille. »Bald wird es jemand herausfinden.« Eve lächelt, in Joannes Arm entspannt sich ihr Körper. »Du hast gesagt, du wirst zu einem gewissen Dr. Ronald Gold gehen.«
»Ja, Donnerstag in einer Woche. Warum?«
»In unserer Schule war ein Junge, der hieß Ronald Gold, erinnerst du dich?« Eve schüttelt den Kopf. »Ich würde gern wissen, ob es derselbe ist.«
Sie haben die vierte Runde beendet und stehen wieder vor ihren Häusern. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser rein«, sagt Eve.
»Wieder Schmerzen?«
»Ein bißchen. Es ist, als ob … als ob mir jemand einen Gürtel um die Rippen festziehen würde, als ob etwas … ich weiß nicht … an meinem Rippen klebte. Ich kann es nicht erklären. Je mehr ich es versuche, um so verrückter klingt es. Brian glaubt, daß ich übergeschnappt bin. Er will, daß ich zum Psychiater gehe.«
»Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee«, sagt Joanne. Sie sieht Feindseligkeit in Eves Augen aufblitzen. »Nur damit du damit umzugehen lernst«, fügt sie hastig hinzu.
»Ich will nicht damit umgehen«, informiert Eve sie barsch, »ich will es loswerden.« Sie wendet den Blick zu ihrem Haus. »Ach, entschuldige. Ich wollte dich nicht anfahren. Aber das ist einfach nicht dein Gebiet, und es ist nicht der Ratschlag, den ich von dir brauche. Glaub mir, wenn ich der Meinung wäre, ich brauchte einen Psychiater, dann hätte ich schon längst einen aufgesucht. Du, halt zu mir, hm? Sei meine Freundin, bitte.«
»Ich bin deine Freundin.«
»Ich weiß. Besuchst du heute nachmittag deinen Großvater?«
Joanne nickt.
»Gib dem alten Jungen einen Kuß von mir«, bittet Eve. Joanne sieht ihr nach, wie sie langsam die Treppen hinaufgeht und dann durch die vordere Eingangstür das Haus betritt. Sie wirft noch einmal einen Blick auf die großen Adern, die an ihrem Handrücken durch die Haut scheinen, dann geht auch sie ins Haus.
Als sie gerade durch die Haustür eintritt, klingelt das Telefon. »Scheiße!« schreit sie wütend in die Richtung des Apparats, überrascht, wie einfach ihr so ein Wort über die Lippen geht. »Es reicht!« Sie marschiert auf das Telefon zu, starrt es an, nimmt den Hörer aber nicht ab. Ist er ihr gefolgt? Ist es Zufall, daß er genau in dem Moment anruft, in dem sie das Haus betritt, so daß er über jeden ihrer Schritte unterrichtet zu sein scheint?
Beim fünften Klingelzeichen hebt Joanne den Hörer ab. »Warum machen Sie das?« sagt sie, statt sich mit »Hallo« zu melden.
Ein kurze Pause. Dann: »Joanne?«
»Paul!«
»Wer hast du denn geglaubt, ist es?«
Joanne versucht zu lachen. »Ich weiß nicht.« Sie ist so froh, seine Stimme zu hören.
»Ich dachte, du hättest gesagt, daß du keine von diesen komischen Anrufen mehr kriegst?«
Joanne ist sich nicht sicher, was sie ihm antworten soll. Er hat schließlich nicht angerufen, um dieses Problem zu erörtern. Wie er zu diesem Thema steht, hat er bereits mehrmals dargelegt. Aus
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