Ein mörderischer Sommer
Konzertbühnen der Welt krümmen und unter dem geschockten Gekreische ihrer pubertären Fans und deren entsetzter Eltern so tun, als führten sie eine Fellatio aus. Die wären ihrerseits geschockt, überlegt Joanne, wenn sie entdeckten, daß ihre Eltern und so gut wie jeder andere Mensch das schon jahrelang getan hatten, bevor sie selbst überhaupt geboren waren, und daß das einzige Schockierende an der Sache ihre kollektive Naivität ist, die sie annehmen läßt, sie seien die erste Generation, die auf diese Idee gekommen ist.
Sie zieht ihn an den Haaren, so daß er den Kopf heben muß. Er mißversteht es als einen Ausdruck von Leidenschaft, interpretiert ihr Unbehagen als Aufregung, ja Ungeduld. Sie hört das Rascheln von Stoff. Jetzt zieht er sich das Hemd aus. Eve im blauen Sessel lehnt sich vor, um es besser sehen zu können. Joanne hält die Augen fest geschlossen. Er nimmt ihre Hand in seine und führt sie an den Reißverschluß seiner Hose.
»Ich weiß, wo er ist«, sagt sie plötzlich. Ihre Stimme macht einen Schnitt durch die Stille wie ein Messer durch einen Pie.
»Was?« fragt er mit heiserer Stimme, als ob sie ihn gerade wachgerüttelt hätte. Vielleicht hat sie das auch.
Ihre Hand umfaßt die Wölbung vorne an seiner Hose. »Ich sagte, ich weiß, wo er ist«, wiederholt sie. »Du mußt es mir nicht erst zeigen.«
Er setzt sich abrupt auf und nimmt ihre Hand von sich weg. Er klingt traurig, merkwürdig. »Was ist los?«
Sie schüttelt den Kopf und setzt sich ebenfalls auf. »Nichts ist los.«
»Du klingst sauer.«
»Ich bin nicht sauer.«
Genau das bin ich: sauer, denkt sie. Sauer auf mich, weil ich mich in diese Situation hineinmanövriert habe; sauer auf dich, weil du nicht der Mann bist, den ich jetzt gern hier hätte, weil du der Mann gar nicht sein kannst, der du sein sollst, weil der Mann, den ich will, mich nicht mehr will, weil ich dumm und alt und unnütz und häßlich bin …
»Wenn du nicht sauer bist«, sagt er, »dann leg dich zurück, hier neben mich.« Er schubst sie wieder aufs Bett, seine Finger sind wieder an ihren Brustwarzen. »Entspann dich«, sagt er.
»Ich kann mich nicht entspannen«, sagt sie ungeduldig und schiebt seine Hand weg.
»Warum denn nicht?«
»Weil ich das, was du da tust, als ablenkend empfinde.«
»Ablenkend?«
»Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du das tust.«
»Du sollst dich ja auf nichts anderes konzentrieren als darauf«, erklärt er ihr. »Was ist denn los, Joanne? Was geht hier vor, ohne daß ich es bemerke?«
Sie zieht die Tagesdecke herauf und bedeckt ihren nackten Körper damit. »Es ist nicht dein Fehler. Es liegt nicht an dir.«
»An wem denn sonst?« fragt er. »Wer ist noch hier?«
»Zu viele Gespenster«, erwidert sie nach einer Pause hilflos.
Eve erhebt sich aus dem blauen Sessel. Entsetzt schüttelt sie den Kopf, wirft den Arm in einer Geste des Besiegtseins in die Luft und verschwindet.
»Es tut mir leid«, sagt Joanne, während Steve Henry sein blaß-rosa Polohemd überzieht. Einen Augenblick lang verheddert er sich in den Ärmeln. »Ich wollte ja. Ich dachte, ich könnte es.«
»Vielleicht hast du gedacht, du könntest es«, erklärt er, im Dunkeln nach seinen Schuhen suchend, »aber ganz bestimmt hast du es nicht gewollt. Hast du was dagegen, wenn ich hier mal Licht mache? Ich sehe überhaupt nichts.«
Joanne zieht sich die Tagesdecke höher hinauf, so daß sie ihr bis ans Kinn reicht. »Nein, ich habe nichts dagegen.«
Er rührt sich nicht von der Stelle. »Wo ist denn die Lampe?« fragt er. Er klingt wie ein kleiner Junge, der Angst vor der Dunkelheit hat.
»Ich mach's schon«, sagt Joanne, beugt sich zum Nachtkästchen hinüber und knipst die Lampe an.
Sofort hat Steve Henry seine Schuhe gefunden. Joanne schielt zum Radiowecker hinüber. Es ist erst halb elf.
»Bist du sauer?« fragt sie.
»Ja«, antwortet er ehrlich. »Aber ich werd's überleben.«
»Es hat nichts mit dir zu tun, wirklich.«
»Das hast du schon mal gesagt.« Er ist jetzt ganz angezogen. Er dreht sich zu ihr um und sieht sie an. »Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich die Sache nehmen soll, wenn ich ehrlich bin. Was genau bedeutet das alles?«
»Daß ich meinen Mann liebe«, sagt sie leise. »Es ist vielleicht idiotisch und altmodisch und vielleicht rührend, ich weiß nicht, aber irgend etwas in mir sagt mir, daß es für Paul und mich noch Hoffnung gibt, und daß … wenn ich diesem … dieser Sache nachgebe, daß ich uns dann
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