Ein mörderischer Sommer
je gegessen habe«, sagt er, nachdem er mit dem zweiten Stück fertig ist, und schiebt seinen Teller in die Mitte des langen, rechteckigen Eichentisches. »Ich würde ja gerne noch ein drittes Stück nehmen, aber dann könnte ich mich nicht mehr von der Stelle bewegen, ganz zu schweigen davon, daß ich dann jemals wieder fähig wäre, auf dem Tennisplatz zu brillieren.«
Joanne lächelt, froh, daß das Essen vorüber ist und ein Erfolg war. Steve Henry sitzt rechts neben ihr. Er hat sein Set vom entgegengesetzten Ende des Tisches hierher, auf diesen Platz geschoben. Er hat die Art, wie sie den Tisch gedeckt hat, das Essen und sogar den Kaffee gelobt. Sie haben über Tennis gesprochen und über die aktuelle Weltpolitik. Er war freundlich und aufmerksam und überhaupt ein sehr angenehmer Gast. Warum wünscht sie dann verzweifelt, er möge gehen?
»Wir wäre es mit einem Likör?« fragt er, schiebt seinen Stuhl zurück und geht ganz ungezwungen zum Barschrank.
»Nein, danke.« Sie schüttelt den Kopf.
»Drambuie, Benedictine, Grand Marnier«, liest er von den verschiedenen Etiketten ab. »Ich glaube, ich genehmige mir einen kleinen Tia Maria. Kann ich Sie wirklich nicht überreden, einen mitzutrinken?«
Joanne zögert. Likör war ihr immer zu süß. »Vielleicht einen kleinen Schluck Benedictine …« Benedictine hat Paul immer getrunken.
»Also, einen Schluck Benedictine!«
Eine Minute später prosten sie sich zu. »Auf heute abend«, sagt er.
Schweigend nickt Joanne und nimmt ein winziges Schlückchen. Sofort wärmt die dicke Flüssigkeit ihr Inneres, sie schmeckt süß und seltsam scharf zugleich. »Das ist gut«, muß sie zugeben.
»Erzählen Sie mir alles über Ihren Mann«, sagt Steve Henry. Sie ist verdutzt. Beinahe fällt ihr das kleine Glas aus der Hand, sie kann es gerade noch am Rand fassen. Hat er es bemerkt?
»Was soll ich da erzählen?« fragt sie, bemüht, ihn nicht anzusehen. »Er ist Rechtsanwalt, sehr klug, sehr erfolgreich …«
»Vielleicht sehr erfolgreich. Sicherlich nicht sehr klug.«
»Warum sagen Sie das?«
»Wenn er Köpfchen hätte, säße ich jetzt nicht hier.«
»Ich möchte nicht, daß Sie so etwas sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil es nicht schön ist, so etwas zu hören«, antwortet sie, rutscht dabei unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und nimmt dann noch einen Schluck von ihrem Benedictine. Sofort fühlt sie ihre Kehle warm werden.
»Warum hören Sie nicht gern Komplimente?«
»Weil sie zu oberflächlich sind«, sagt sie mit fester Stimme. »Es tut mir leid, ich will nicht unhöflich sein, aber in diesen Dingen war ich noch nie sehr gut …«
»In was für Dingen?«
»In diesen … Spielen! Rendezvous! Die habe ich schon mit zwanzig nicht beherrscht, und jetzt bin ich noch schlechter.«
»Bin ich der erste Mann, mit dem Sie sich seit der Trennung von Ihrem Mann getroffen haben?«
Joanne nickt. Sie fühlt ihre Wangen rot werden.
»Ich bin geschmeichelt.«
»Ich bin halb tot vor Angst.«
»Wegen mir?«
»Mhm.«
Er lacht. »Haben Sie deshalb jede Lampe im ganzen Haus angeknipst?«
Jetzt muß sie lachen. »Raffinesse war noch nie meine Stärke.«
»Was ist denn Ihre Stärke?«
»Sie haben es gerade gegessen.«
»In Ihnen steckt mehr als eine ausgezeichnete Zitronen-Baiser-Pies-Bäckerin.« Er lächelt.
»Warum sind Sie sich da so sicher?«
»Ich bin ein guter Menschenkenner.«
Sie lacht. »Ich bin eine miserable Menschenkennerin.«
»Beschreiben Sie sich mit drei Begriffen!«
»Ach, kommen Sie …«
»Nein, ich meine es ernst. Tun Sie mir den Gefallen. Drei Begriffe.«
Sie legt das Kinn in die linke Hand und dreht den Kopf weg von seinem durchdringenden Blick. »Ängstlich«, flüstert sie schließlich. »Durcheinander.« Sie atmet tief aus. »Einsam. Na, was sagen Sie zu dieser gigantischen Selbsteinschätzung?«
»Jämmerlich«, antwortet er, und plötzlich küßt er sie, sanft drückt er seine Lippen gegen ihre. Der würzige Duft von Tia Maria dringt in ihre Nase, und sie schmeckt es auf der Zungenspitze. »So, und wie fühlen Sie sich jetzt?«
»Ängstlich«, erwidert sie ruhig. »Durcheinander.« Sie lacht. »Nicht mehr ganz so einsam.«
Er beugt sich vor, um sie wieder zu küssen.
Sofort führt sie ihr Glas an die Lippen.
»Was ist los?«
»Ich glaube, ich bin noch nicht bereit für so etwas.«
»Noch nicht bereit für was?«
»Für … wozu dies hier auch immer führen mag.«
»Und das wäre?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich komme
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