Ein Moment fürs Leben. Roman
mich nicht danebenbenahm, und jedes Mal, wenn sie Taxi-Mom spielte, trafen sich unsere Blicke. Sie wusste Bescheid, ich wusste Bescheid, wir wussten beide, dass wir Bescheid wussten, eine Exfreundin und eine Möchtegernfreundin, die sich benahmen wie zwei Falken, die ihre Beute umkreisten und sich fragten, wer als Erster zuschlagen würde, auf der Hut voreinander, immer wachsam. Der nicht mehr grüngesichtige Harry und das Mädchen, das sich Babys von Blake gewünscht hatte, waren in einen kleinen Adrenalinliebesrausch versunken, erzählten einander in einem irren Tempo von ihren Erlebnissen, kauten jede Sekunde des Sprungs noch einmal durch und quittierten jede Einzelheit in der Beschreibung des anderen mit einem überdreht enthusiastischen »Ich auch!«. Ich hatte das Gefühl, dass Blake seine Chance auf eine Ersatzfreundin verspielt hatte – die er wahrscheinlich ohnehin nicht gebraucht hätte. Jeremy, der zweite Tandem-Master, starrte aus dem Fenster, cool und ohne das geringste Interesse für das, was im oder um den Jeep herum passierte. Außer ihm jedoch waren alle high. Auch mein Herz. Zwar floss das Adrenalin bei mir aus anderen Gründen als bei den anderen – nämlich, weil ich verliebt war –, aber statt es zu genießen, führte ich in Gedanken eine erhitzte Debatte, ob es nur eine Angewohnheit war oder nicht. Die Momente mit Blake waren kostbar und wichtig für mich, ich hatte lange darauf gewartet, ihm körperlich und emotional wieder so nahe zu sein, und jetzt machte ich alles kaputt, indem ich über Probleme nachgrübelte, für deren Lösung ich eigentlich mehr als genug Zeit gehabt hatte, als ich von ihm getrennt war. So viele Stunden hatte ich allein mit MrPan auf der Couch verbracht, in allen möglichen Clubs, Pubs, Restaurants und bei einer Menge Familienfeiern hätte ich Gelegenheit gehabt, um über die Grundfesten und die Echtheit meiner Liebe zu sinnieren, und trotzdem suchte ich mir für meine Gedankenkrise ausgerechnet diesen Moment aus. Verdammt. Es war so frustrierend. Ich war der frustrierendste Mensch auf dem ganzen Planeten.
Blake und ich sahen uns an, und das Lächeln auf seinem Gesicht war so hell wie die neue Glühbirne in meinem Badezimmer. Vielleicht klingt das wie ein lahmer und unromantischer Vergleich, aber wenn man ein Jahr lang nur im Stockfinstern auf die Toilette konnte, dann ist eine Glühbirne eine sehr freundliche, erhellende und obendrein sehr nützliche Errungenschaft. Gerade sagte Jenna etwas, worauf mein Leben vor Lachen brüllte, und obwohl Blake vor mir saß und sein Lächeln mir eine Million wundervoller Tage zu versprechen schien – oder zumindest einen netten Abend, den ich mit Freuden annehmen würde, ich war nicht wählerisch –, trieb mich die wachsende Vertrautheit zwischen ihnen allmählich in den Wahnsinn. Der hässliche Ausschlag war verschwunden, mein Leben strahlte vor Glück, und sosehr ich mich auch zu überzeugen versuchte, dass das alles Blakes Verdienst war, fühlte sich das meilenweit von der Realität entfernt an. Mein Leben kam mit Jenna weit besser klar als mit der Liebe meines Lebens, und es lag nicht daran, dass er sich nicht bemüht hätte. Bei unserem ersten Treffen hatte ich hautnah erlebt, wie unangenehm er sein konnte, und ich war sehr dankbar, dass Blake ihn nicht von seiner schlechten Seite kennengelernt hatte. Aber hatten Blake und ich überhaupt Zukunftschancen, wenn er mein Leben hasste? Und für wen würde ich mich im Zweifelsfall entscheiden? Noch ein neuer Gedanke, der mir Angst machte. Am liebsten hätte ich mich geohrfeigt. Hör auf zu denken, Lucy, zu viel Denken hat noch keinem was gebracht.
»Wie in alten Zeiten«, sagte Blake auf einmal.
Irgendetwas daran störte mich. Da mein Leben mich ja inzwischen so programmiert hatte, dass es mir schon zur Gewohnheit geworden war, alles zu analysieren, tat ich das auch jetzt. Nein, es lag nicht an Blake. Auch nicht an seinem Gesichtsausdruck oder an seinem Ton. Nein, es war das Gefühl als solches. Sicher, es war wie in alten Zeiten, aber all das Unausgesprochene, was immer unter den Teppich gekehrt worden war, trennte und türmte sich jetzt so hoch zwischen uns auf, dass ich kaum noch sein Gesicht sehen konnte. Ich wollte ihm den Teppich nicht unter den Füßen wegziehen, ich wollte nicht im Komposthaufen unserer alten Probleme wühlen. Nein, ich wollte lieber hier in diesem Jeep auf der Rollbahn sein und alles Unausgesprochene weiter unausgesprochen in der Luft hängen
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