Ein Moment fürs Leben. Roman
atemlos bemühte ich mich, meinem Leben wenigstens einen kurzen Überblick über meinen Freundeskreis zu geben. »Lisa ist schwanger, sie hat noch etwa einen Monat, bis es so weit ist, und sie hat eine Menge Wasser im Gesicht und in den Händen eingelagert, also starr sie lieber nicht an und hab bitte Nachsicht mit ihr. Ihr Mann heißt David, und er muss zurzeit auch eine wahre Engelsgeduld aufbringen. Vor ein paar Jahren war Lisa mit Jamie zusammen, und David ist mit Jamie befreundet, was manchmal ein bisschen komisch ist, im Großen und Ganzen aber funktioniert. Keiner hat gelogen oder betrogen oder so, Lisa ist einfach ein paar Jahre später mit David zusammengekommen, also mach dir deshalb keine Gedanken.«
»Okay, ich werde alles versuchen, mir wegen Jamie und David keine Gedanken zu machen. Wenn du irgendwann meinst, ich interessierte mich zu sehr für ihr aufregendes Leben, dann halte mich bitte zurück.«
»Du weißt, dass Sarkasmus die primitivste Art von Witz ist, oder?«
»Aber extrem lustig.«
»Chantelle wird wahrscheinlich versuchen, sich an dich ranzumachen; wenn sie was getrunken hat, will sie nur noch flirten. Wenn du also eine Hand unter dem Tisch spürst, dann weißt du, wem sie gehört. Adams Freundin Mary ist Fotografin, trägt immer nur Schwarz, und ich traue ihr nicht über den Weg.«
»Weil sie Schwarz trägt?«
»Ach, sei nicht albern. Weil sie Fotografin ist natürlich.«
»Na, da bin ich aber froh, dass nur ich albern bin.«
»Sie versucht die Dinge immer aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Alles. Selbst ganz einfache Dinge, zum Beispiel wenn man sagt: ›Ich war heute im Supermarkt‹, dann legt sie sofort los: ›Warum? Welcher Supermarkt war es? Hast du Angst vor Supermärkten? Ist deine Kindheit daran schuld? Wie war das Licht dort?‹« Mein Leben lachte, und ich schaltete wieder auf normal, keuchte und lief, lief und keuchte. »Sie macht alles kompliziert. Fehlt nur noch …« Ich ging alle im Kopf durch. »Ich. Und ich hab jede Menge Ärger am Hals.« Vor dem Restaurant blieb ich stehen. »Bitte bring meine Freunde nicht dazu, mich zu hassen.«
»Lucy, gib mir deine Hand.« Ich wollte nicht, also versuchte er sie in der Luft zu fangen.
»Nein, deine Hände sind immer so feucht.« Ich spähte ins Restaurant und sah sie alle dort sitzen. Wie üblich war ich die Letzte. »Na toll, wir kommen zu spät.«
»Falls das ein Trost ist – du wirst bestimmt als Erste wieder gehen.«
»Bist du etwa auch noch hellseherisch veranlagt?«
»Nein, aber du bleibst doch nirgends bis zum Ende. Und meine Hände sind überhaupt nicht feucht«, sagte er, mehr zu sich selbst und befummelte seine Hände. Dann packte er meine. »Siehst du?«
Tatsächlich waren seine Hände warm und trocken. Das musste doch ein gutes Zeichen sein. Nur fühlte ich mich in diesem Moment ganz und gar nicht so.
»Lucy, schau mich an. Entspann dich. Ich werde deine Freunde nicht dazu bringen, dich mehr zu hassen, als sie dich sowieso schon hassen. Das war ein Witz, mach nicht so ein ängstliches Gesicht. Im Ernst, ich werde deine Freunde ganz bestimmt nicht dazu bringen, dich zu hassen. Versprochen. Jetzt kannst du wieder Luft holen.« Wir gingen weiter, und er hielt immer noch meine Hand. Einen Moment war ich ganz ruhig, aber dann sah ich, dass Adam uns durchs Fenster beobachtete, ließ hastig die Hand meines Lebens los und verfiel wieder in Panik. Als wir hereinkamen, entdeckte mich der Kellner mit dem falschen französischen Akzent sofort und versuchte nicht mal, das Grauen in seinen Augen zu verhehlen.
»Bonjour«
, sagte ich zu ihm und zog meine Jacke aus.
»D’accord, tu peux rester près de moi tant que tu ne parles pas de la chaleur qu’il fait ici.«
Okay, du kannst neben mir stehen bleiben, solange du nicht darüber redest, wie heiß es hier drin ist.
Er lächelte mich an, woraus ich entnahm, dass er genug von mir hatte, und holte die Speisekarten. »’ier entlang, bittä«, murmelte er.
»Was war das denn?«, fragte mein Leben.
Ich antwortete nicht, denn ich war ganz darauf konzentriert, dem falschen Franzosen zu folgen und mir ein breites falsches Grinsen aufzusetzen, obwohl meine Freunde mich überhaupt nicht ansahen, sondern nur Augen für mein Leben hatten. Alle saßen auf ihren Lieblingsplätzen, nur Melanies Platz war leer, weil sie heute Morgen nach Ibiza geflogen war, um bei einer Party von P Diddy aufzulegen. Ich setzte mich wie üblich ans Kopfende des Tischs und starrte
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