Ein Moment fürs Leben. Roman
zahllosen Details zu gehen. Also wählte ich letztlich den Weg des geringsten Widerstands und nickte.
»Das Problem ist nur, dass deine Lügen auf anderen Lügen aufbauen, richtig? Wenn du eine erzählst, musst du gleich die nächste draufpacken, und wenn du auch nur das kleinste bisschen Wahrheit rauslässt, dann fällt alles in sich zusammen. Also baust du immer weiter – und so hängt natürlich auch die Lüge mit dem Spanisch auf der Arbeit mit Melanie und ihrer Exfreundin zusammen.«
Ich nickte wieder.
»Wenn du den Leuten sagst, dass du gefeuert worden bist, wollen sie natürlich den Grund wissen«, fuhr er fort, »und wenn du ihnen erklärst, dass du betrunken warst, und sie fragen wieder nach dem Warum, dann musst du sagen, dass Blake dich an dem Tag verlassen hat, dass du deshalb nicht klar denken konntest und dir eine Flasche Wein hinter die Binde gegossen hast, dass dann deine Firma angerufen hat, obwohl du eigentlich frei hattest, und man dir gesagt hat, du musst unbedingt Robert Smyth vom Flughafen abholen und zu einem wichtigen Meeting bringen. Für dich stand in diesem Moment eine Menge auf dem Spiel – du hattest gerade deinen Freund verloren und wolltest nicht auch noch deinen Job aufs Spiel setzen, also bist du ins Auto gesprungen, zwar schon angesäuselt, aber noch nicht richtig blau, das kam erst später, als der Alkohol richtig zugeschlagen hat. So wurde der Tag eine Katastrophe, und am Abend warst du nicht nur deinen Freund, sondern auch deinen Job, deinen Führerschein und dein Auto los.«
Das klang so traurig – mein ganzes Leben als eine Kette lächerlicher Lügen, die mich vom Regen in die Traufe gebracht hatten.
»Wenn du das alles längst weißt, warum fragst du mich dann überhaupt?«
»Ich möchte etwas erfahren, was so nicht im Computer gespeichert ist.«
»Und – hast du etwas erfahren?«
»Ja.«
Ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Dass du nicht rücksichtslos bist, sondern einfach traurig.«
Silchesters weinten nicht, aber das hieß noch lange nicht, dass sie es nicht manchmal wollten. Jetzt zum Beispiel wollte ich, tat es aber trotzdem nicht. Ein langes, aber nicht unbehagliches Schweigen folgte, mindestens fünf Minuten, in denen keiner von uns ein Wort sagte. Es war ein schöner Tag, der Park war voll, kein Lüftchen ging, alles war still und träge, die Leute lagen auf der frisch gemähten Wiese, lasen oder aßen oder plauderten oder taten, was wir auch taten – wir ließen uns die Dinge durch den Kopf gehen. Schließlich brach mein Leben das Schweigen.
»Aber ich habe stark das Gefühl, dass du dich den ganzen Tag bemühst, ihm
nicht
zu gefallen. Was ja auch etwas heißt«, sagte er.
Seine Bemerkung kam völlig unerwartet aus dem Nichts, ein willkürlicher Kommentar, und ich tat so, als wüsste ich nicht, wovon er sprach. Dabei wusste ich es genau.
Am folgenden Abend wurde Chantelles Geburtstag gefeiert, was bedeutete, dass wir uns alle im Wine Bistro einfanden. Wir kauften einander nämlich nie Geschenke, sondern hatten abgemacht, dass wir dem jeweiligen Geburtstagskind gemeinsam das Essen ausgaben. Früher hatten wir uns einmal die Woche in Blakes und meiner Wohnung getroffen, aber nach unserer Trennung waren wir in dieses Restaurant ausgewichen, wo man gut, aber erschwinglich essen konnte. An der Ecke traf sich mein Leben mit mir, und zu meiner großen Überraschung trug er Jeans und ein frisches weißes Leinenhemd unter dem zerknitterten Anzugsjackett. Frischer Atem und bessere Klamotten, das bedeutete doch bestimmt, dass es mit mir aufwärts ging. Allerdings konnte ich nicht aufhören zu gähnen, denn mein Leben hatte sich immer noch keine Nasenstöpsel besorgt. Aber das Gähnen war auch nicht nur vor Müdigkeit, ich war enorm nervös, und er merkte das auch sofort.
»Keine Sorge, alles wird gut.«
»Aber ich
mache
mir Sorgen, weil ich nicht die geringste Ahnung habe, was du meinen Freunden alles sagen wirst.«
»Ich werde schweigen und beobachten. Nur wenn du lügst, dann erzähle ich eine Wahrheit.«
Genau deswegen war ich ja so nervös: Meine Freundschaften basierten auf Lügen. Ich gähnte erneut. »Nimm dich vor Adam in Acht. Er ist Blakes bester Freund und hasst mich.«
»Er hasst dich ganz bestimmt nicht.«
»Sei einfach vorsichtig.«
»Okay.«
In forciertem Tempo ging ich die Straße hinauf, was mit Extremplateauschuhen nicht ganz leicht war, und ich hatte dieses seltsame Traumgefühl, zu rennen, aber nirgendwo hinzukommen. Etwas
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