Ein Moment fürs Leben. Roman
Lisa rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. »Das hat weniger mit meiner Müdigkeit zu tun als mit diesen scheiß Stühlen, die sind so unbequem.« Auf einmal brach sie in Tränen aus. »Mist«, schluchzte sie. »Tut mir leid, ich hab was im Auge.« Ihre Stimme lag etwa eine Oktave höher als bei einem Streifenhörnchen.
»Lisa«, sagte Jamie sanft und deutete auf seine Speisekarte. »Schau doch mal, es gibt Backofen-Paprika als Beilage. Die magst du doch so. Warum bestellst du die nicht einfach?«
David sah Jamie leicht genervt an.
»O mein Gott«, strahlte Lisa und lächelte Jamie an. »Daran erinnerst du dich noch?«
»Na klar«, lachte Jamie. »Deshalb bin ich ja drauf gekommen.«
Ich war sicher, dass David sich die beiden in diesem Moment beim Sex auf einem Bett aus roter Backofen-Paprika vorstellte, obwohl sie wahrscheinlich einfach nur eines Tages ganz sittsam in einem Restaurant jede Menge Paprika gegessen hatten.
»Okay«, seufzte Lisa und schlug ihre Speisekarte wieder auf.
Wir wandten uns alle ab, während der Koch in die Hocke ging, mit Lisa die Karte durchforschte und ihr mit wahrer Engelsgeduld erklärte, was er für sie arrangieren konnte und was nicht.
»Und wo wohnst du zurzeit?«, fragte Chantelle mein Leben. Noch hatte sie sich ihm nicht an den Hals geworfen, zum Teil, weil sie erst beim zweiten Glas Wein war, zum Teil, weil sie nicht sicher wusste, ob wir zusammen waren.
»Ich wohne bei Lucy«, antwortete er, und ich vermied es tunlichst, Adam anzuschauen.
»Wow«, sagte Chantelle. »Uns lässt sie nie in ihre Wohnung, als würde sie da ein großes Geheimnis verstecken oder so. Du hast also alles gesehen – wie ist es denn so? Erzähl mal, was sie uns vorenthält.«
Ich lachte. »Ach komm, ich hab überhaupt nichts zu verbergen.«
»Pornos?«, fragte Jamie, als der Küchenchef wieder verschwunden war. »Bestimmt Pornos, stimmt’s? Ich glaube, Lucy steht auf Nacktmagazine und lässt sie überall rumliegen.«
»Nein, es muss was Spannenderes sein«, meinte Chantelle. »Die ganzen letzten drei Jahre hab ich mir immer vorgestellt, dass sie jemanden in ihrer Wohnung angekettet gefangen hält.«
Ich lachte. Jamie zwinkerte.
»Einen hat sie auf jeden Fall versteckt«, sagte Adam und griff nach einem Stück Brot. Wieder ignorierten sie ihn alle, obwohl sie den Kommentar bestimmt gehört hatten. Warum sie ihn nicht so hörten wie ich, war mir unbegreiflich. Aber vielleicht hatte wenigstens mein Leben das Gleiche verstanden wie ich.
»Was war das denn?«, fragte er, und da wünschte ich mir, er hätte es nicht bemerkt, denn sein Ton gefiel mir überhaupt nicht. Es war der gleiche Ton, den Blake benutzt hatte, bevor wir in einer Bar in einen lächerlichen Streit mit einem Kerl geraten waren, der mich falsch angeschaut hatte. Und genau darauf hatte Adam es ja abgesehen, er wartete wahrscheinlich auf eine solche Gelegenheit, seit Blake und ich uns getrennt hatten.
»Ach, komm schon, wie lange kennt ihr beiden euch schon? Ewig? Ich würde sagen, seit ein paar Jahren bestimmt schon, richtig? Und soweit ich mich erinnere, war Lucy vor ein paar Jahren noch mit Blake zusammen.« Sein Ton war leicht, und er lächelte, aber man sah die Wut förmlich unter der Oberfläche brodeln.
»Adam«, rief Lisa erschrocken.
»Ach was, ich hab genug davon, dass wir das Thema immer aussparen, als wäre sie der Allmächtige.«
»Weil es dich nichts angeht«, sagte Chantelle und sah Adam warnend an.
»Blake ist unser Freund«, entgegnete Adam.
»Und Lucy unsere Freundin«, gab Lisa zurück.
»Ja, aber ihretwegen ist Blake nicht hier, und deshalb geht es uns sehr wohl etwas an.«
»Er ist nicht hier, weil er den Job hat, den er sich immer gewünscht hat und der von ihm verlangt, dass er herumreist. Finde dich endlich damit ab«, stärkte Jamie mir den Rücken, und ich sah, dass die Adern an seinem Hals pochten. Offensichtlich war auch er wütend. Am liebsten hätte ich ihm einen dicken Kuss gegeben, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mir den Kopf nach einer Entschuldigung dafür zu zerbrechen, wie ich augenblicklich aufspringen und den Tisch verlassen konnte. Auf einmal befanden wir uns auf einem Gesprächsniveau, das mir zutiefst unbehaglich war.
»Ich finde, wir sollten alle das Thema wechseln«, meinte David.
Der Kellner ging um den Tisch herum und blieb neben mir stehen. Offenbar spürte er, dass die Situation mir unangenehm war, und genoss das in vollen Zügen. Alle schauten mich an und
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