Ein Moment fürs Leben. Roman
erwischt.«
Mein Leben machte ein unzufriedenes Gesicht.
»Na gut, vielleicht will er sich für die Szene gestern Abend entschuldigen, aber das muss er nicht, er hat ja nichts falsch gemacht. Er war auf meiner Seite.«
»Dann ruf ihn zurück und sag ihm das.«
»Ich möchte aber mit niemandem darüber reden.«
»Gut, dann kehrst du eben noch mehr Mist unter den Teppich, und eines Tages ist der Teppich so uneben, dass du stolperst und auf die Nase fällst.«
»Du meinst also, diese Telefonate sind wichtiger als die Zeit, die ich mit meinem Leben verbringe?«, fragte ich und rechnete fest damit, dass ihm das den Wind aus den Segeln nehmen würde.
Aber er verdrehte bloß die Augen. »Lucy, ich glaube, du verstehst da irgendwas ganz falsch. Ich wollte nicht, dass du nur noch rumsitzt und dich mit dir und deinem Leben beschäftigst. Du musst die richtige Balance finden, du musst lernen, dich um dich selbst, aber auch um die Menschen zu kümmern, denen du wichtig bist.«
»Aber das ist so schwierig«, jammerte ich und steckte schnell den Kopf unter ein Kissen.
»So ist das Leben eben«, grinste er. »Warum wollte ich dich treffen?«
»Weil ich dich ignoriert habe«, antwortete ich brav. »Weil ich mich nicht mit meinem Leben befasst habe.«
»Und was tust du jetzt?«
»Ich befasse mich mit meinem Leben. Ich verbringe jede Sekunde mit meinem Leben, ich kann kaum noch alleine pinkeln gehen.«
»Du könntest aber ganz ungestört pinkeln, wenn du die Glühbirne im Bad auswechseln würdest.«
»Das ist so kompliziert«, seufzte ich.
»Kompliziert?«
»Erstens komm ich nicht dran.«
»Dann nimm eine Leiter.«
»Ich hab keine.«
»Dann stell dich auf die Toilette.«
»Die hat einen billigen Plastikdeckel, da krach ich garantiert durch.«
»Dann stell dich auf den Badewannenrand.«
»Das ist gefährlich.«
»Soso.« Mein Leben erhob sich. »Steh auf.«
Ich stöhnte.
»Steh auf«, wiederholte er.
Widerwillig wie ein muffeliger Teenager hievte ich mich von der Couch.
»Jetzt geh zu deiner Nachbarin und frag sie, ob sie dir eine Trittleiter leiht.«
Ich ließ mich auf die Couch zurückfallen.
»Tu es«, sagte er streng.
Beleidigt stand ich wieder auf und ging zur Tür, überquerte den Korridor zu Claires Wohnung, klopfte und kehrte wenig später mit einer Trittleiter zurück.
»Siehst du, war doch gar nicht so schlimm.«
»Wir haben über das Wetter geredet, also war es wohl schlimm. Ich hasse sinnloses Gequatsche.«
Er schnaubte. »Jetzt bring die Leiter ins Bad.«
Ich tat, was er sagte.
»Kletter rauf.«
Ich folgte seinen Anweisungen.
»Jetzt dreh die Birne raus.«
Er leuchtete mir mit der Taschenlampe, damit ich sehen konnte, was ich tat. Ich drehte die alte Birne heraus, wimmernd wie ein Kind, das man zwingt, Gemüse zu essen. Endlich löste sich die Birne, und ich hörte auf zu jammern, um mich besser konzentrieren zu können. Ich reichte ihm die alte Birne.
»Tu so, als wär ich gar nicht da.«
Ich schnalzte missbilligend mit der Zunge und fing an, »Ich hasse mein Leben, ich hasse mein Leben« zu trällern, immer wieder, während ich von der Trittleiter herunterstieg, die alte Birne ins Waschbecken legte, meinem Leben einen bösen Blick zuwarf, die neue Birne aus der Schachtel nahm, die Leiter wieder hochkletterte und die Birne in die Fassung zu drehen versuchte. Schließlich war sie drin. Ich stieg die Leiter hinunter, drückte auf den Schalter, und der Raum erstrahlte in hellem Licht.
»Yay, ich hab’s geschafft!«, rief ich und hob die Hand, um mein Leben abzuklatschen.
Er sah mich an, als wäre ich die traurigste Kreatur, die ihm je über den Weg gelaufen war.
»Ich klatsch nicht mit dir ab, nur weil du eine Glühbirne ausgewechselt hast.«
Ein bisschen beleidigt zog ich die Hand zurück, lebte aber gleich wieder auf. »Und jetzt? Noch ein paar Pfannkuchen?«
»Du könntest das Bad endlich mal putzen – jetzt, wo du Licht hast.«
»Neeeeein«, ächzte ich. »Siehst du, deshalb fang ich mit so was erst gar nicht an, denn es führt immer eins zum anderen.« Ich klappte die Trittleiter zusammen und stellte sie auf den Flur unter die Garderobe. Neben die Schlammstiefel vom Musikfestival – dem letzten Festival, auf dem ich mit Blake gewesen war und von meinem Aussichtspunkt auf seinen Schultern sogar einen kurzen Blick auf Iggy Pop erhascht hatte.
»Die lässt du da nicht stehen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie sonst die nächsten zwanzig Jahre auf diesem Fleck stehen bleibt
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