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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Feldweg endete bei einem leeren Graben, der zwischen Weidenbäumen hinzog, etwa gleichlaufend dem Ringwall, welcher sich dort links immer steiler emporschwang, hier noch nicht bewaldet, sondern mit Reben bepflanzt. Am Graben lief ein Pfad. Castiletz folgte ihm. Hier grünte das Gras. Dort drüben jedoch, in das Laubgekuppel der steilen Hänge, waren strichweis starke rote und gelbe Töne eingefallen. Nach ein paar hundert Schritten trat von links ein Hügel heran, der in eine Art Damm auslief, quer über den Graben. Als Conrad den Hügel hinaufgestiegen war, stand er an einem Teiche, dessen Sumpfgeruch ihn schon längst begleitet hatte. Jetzt erst wurde ihm das bewußt. Hier gab es eine Ruhebank.
    Conrad trat ans Ufer, beugte sich vor und sah in das Wasser hinein (einen Augenblick wollte er sich sogar hinkauern, um besser zu sehen). Aber er konnte darin nichts erblicken. Der trübe Weiher lag still da, voll fettiger Tiefe, wie die Wange einer überreifen angefaulten Frucht, in seinem Schilfkranz, der vom Herbste gebleicht war, da und dort schon ganz knochenhaft welkend und in Ergebenheit und Schläfrigkeit nach vorne ins Wasser hing und einsank. Die Weiden – unanständige, polypenhafte Bäume, deren dicker Kopf in zahllose Arme explodiert – schienen dieser Teichfäule und Herbstmüdigkeit hier zuzustimmen. Nur die anderen schlanken und hohen Bäume gleich dahinter hielten sich mit ihrem schön gefärbten Laube gegen den fernen Himmel hinaus.
    Vom Teich an hatte der Graben Wasser; zudem führte er bald etwas näher an den Wall des Gebirges heran, bis auf eines Steinwurfs Weite, und blieb dann im gleichen Abstand. Linker Hand gab es jetzt Auwald und Busch, welcher den Raum bis zur scharf ansetzenden Steilung füllte. Diese Aue, dieser ganze Grund hier schien feucht, frisch, mit zahllosen versteckten Plätzlein und Pfaden lockend. In Castiletz erweckte das ein begrüßendes Gefühl, als sei er durch Jahre nicht mehr auf dem Lande gewesen; und der dichte, gekuppelte, aus allerlei Bäumen gemischte Wald, in welchen jetzt oben auf der Lehne die Weingärten unvermittelt übergingen, war für Conrad ein köstlicher und üppiger Anblick, als wichen nun erst Hitze und Kahlheit des italienischen Sommers von ihm. In Kaskaden winkte der Herbst vom steilen Hang aus den Wäldern, Fahnen, Wolken und Striche rot und braun, mit hellem Gelb dazwischen, das wie ein Ruf in den Himmel stieg, der jetzt, bei höherem Sonnenstande, schon in eine sonore Tiefe des Blaus schwoll. Aus dem Buschwald der Au punkteten krapprot die Berberitzen. Der Boden atmete; Laub, Wasser und Gras rochen. Es wurde warm; gleichwohl ging Castiletz rascher. Denn, um den Kegel der Mitte in weitem Bogen ausholend, kam der Bahndamm heran, lief gerade vor Conrad quer über den Graben und linker Hand senkrecht gegen den Berg.
    Castiletz brach durch Gestrüpp, Brennesseln und Unterholz; dann kletterte er die Böschung am Tunnelmund empor. Hier oben war alles geebnet, schottrig, gekiest; es roch ölig oder teerig von den in der Sonne dunstenden Schwellen. Der Blick ging frei und weit.
    Jedoch Conrad wandte der offenen Landschaft den Rücken.
    Wie der vergessene Tempel einer Gottheit stand vor ihm der Eingang des Doppeltunnels mit seinen beiden finsteren Portalen und der breiten Stirn in den Wald gerammt, links und rechts die schräg abfallenden Futtermauern wie mächtige Füße vorsetzend. Jetzt noch, wo der Stein längst hellgewaschen vom Wetter, anderwärts wieder schwarz vom alten Rauche war, schien die Natur wie erregt seitlich und oben zurückzuweichen, mit gekraustem Busch und Baum. Und doch wieder bestand hier wohl seit langem schon eine Art Gewöhnung, ja fast Freundschaft zwischen strengem Quadersteine und dichtkronigem Gewächs: auf angeflogener Erde über den Gesimsen saßen Sträucher.
    Castiletz blieb seitwärts. Hier war ein kleiner flacher, abgegitterter Platz. Man konnte sich Vorbeugen und in den Tunnel blicken.
    Und eben jetzt erfüllte der hier zuständige Gott den Tempelmund von innen mit seinem anschwellenden Donner. Dann trat er schwarzfarben aus. Castiletz, zurückweichend, kam sich hinter dem Gitterchen vor wie geschützt gegen ein wildes Tier. Es raste vorbei, und dahinter der Lastzug voll schwerer, stummer Güter, Wagen auf Wagen, dröhnend, klappend und klingend hervor aus dem Schlauch. Nun lief die lange rotbraune Kette schon dort draußen in der Sonne, im weiten Bogen nach links, um den Kegelberg in das flache Land. Aus dem Tempelmund quoll

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