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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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gerade auf jenem Teil, den die Polizei, nach Inkrats Erzählung zu urteilen, offenbar weniger beachtet hatte... Das war im Augenblicke für Castiletz völlig überzeugend, wie ein scharf beleuchteter kleiner Kreis. Er nahm eine Karte bis Heilbronn und holte sein Gepäck aus der Aufbewahrung.
    Conrad saß allein im Abteil. Als der Zug, kurz nach dem Verlassen des Bahnhofes, durch den sogenannten ›Prag-Tunnel‹ brauste, richtete er sich auf seinem Sitz gerade empor, jedoch nun gut, das konnte zunächst außer Betracht bleiben; immerhin schon hier, in den ersten Minuten der Fahrt, erfuhr er Neues was ihm nicht mehr bewußt gewesen. Seine Verfassung war jetzt angeregt und wach. Als sich die Landschaft dann öffnete, der Neckar sichtbar wurde, zogen die Windungen des Flusses, die auf und ab wallenden Hügel, mit großer Frische und Deutlichkeit in sein erhelltes Innere ein, das gewaschen war wie eine Wiese nach dem Regen, und in einer gläsernen Art gespannt wie ein klarer Abendhimmel. Rauch hing über Ziegeldächern, man sah zwischen Giebeln tief in die Gassen der Ortschaften; das Licht des sich neigenden Nachmittages tönte die Ferne ab, umgab die Nähe mit der Undeutlichkeit und dem Golde schräger Sonnenstrahlen. Man hielt einmal, zweimal. Conrad stand nun am Fenster, das er herabgelassen hatte, und beugte sich ein klein wenig vor, in die Richtung der Fahrt schauend. Die frische Landluft mischte sich mit dem Rauch des Zuges, der in seinen kraftvollen, schlagenden und klappenden Geräuschen dahinschoß, alles flitzend hinter sich ließ, ob Hausgiebel oder Baumkronen oder Enten am Bach. Seit Stuttgart war man nun schon eine halbe Stunde unterwegs.
    Ein breiter, goldener Rücken sperrte die Strecke, der bei immer geringerer Entfernung zur Wand aufwuchs: hoch vor dem blauen Himmel zackte das Weinlaub. Die Fahrt ging an einem Stationsgebäude brausend vorbei, geradewegs auf diese Wand los; und jetzt erst wurde unten an ihrem Fuße ein kleiner, schwarzer, rußiger Mund sichtbar. Dann schloff der Zug dröhnend in den Schlauch, dessen Wände aus Rauch zu bestehen schienen.
    Castiletz sprang vom Sitz. Draußen heulte und wetterte es langgezogen in der Dunkelheit, und dazwischen zerplatzten zahllose kleinere Geräusche, wie Fässer voll Scherben, die man entleert. Es schien lange zu dauern. Plötzlich jedoch war alles Toben gaumig nach rückwärts verschluckt, wie von einem großen Munde, und der Zug lief wieder geruhig hin in seinen weichen, schleifenden Geräuschen. Conrad sah in eine neue Welt hinein, die jetzt bei sinkendem Abend immer weiter und doch zugleich immer abgeschlossener sich auftat: ein gedehntes Bergrund, oben ganz gerade, fast beängstigend gerade vor dem Abendhimmel abkantend, grauer Schaum des Laubwalds an den dämmernden Flanken, die mit der Regelmäßigkeit einer Trichterwand das weite Talbecken schlossen, worin im Bogen man fuhr. Und nun, zurückblickend, erspähte Castiletz klein am Grund und Fuße der Wand dort rückwärts den doppelten rußigen Einschlupf, aus dessen einer Öffnung man eben noch hervorgebraust war. Er trat von einem Bein auf das andere in seiner Erregung. Wenn doch der Zug jetzt hielte!
    Im nächsten Augenblicke merkte er die verzögerte Fahrt, das Rauschen der Bremsen, das Schlagen der Weichen, den Bahnhof. Er riß seinen Handkoffer geradezu vom Gepäckträger herab, ein Finger breit fehlte und er hätte eine Scheibe zerschlagen. Die Art seines Aussteigens war schon fanatisch zu nennen und so, als hätte dies behäbige Züglein einen Aufenthalt von höchstens zehn Sekunden zugemessen. Indessen, allenthalben und langsam quollen Männlein und Weiblein bescheidentlich heraus mit Taschen und Körben, während Conrad Castiletz blitzartig zum Durchbruch und auf den Bahnsteig gelangte. Seine Eile, die jetzt doch jeglichen Sinn verloren hatte, nahm auch hier nur um ein geringes ab. Als der Schaffner an der Sperre, welcher freilich Conrads Fahrtausweis bis Heilbronn bemerkte, ihn fragte, ob er hier zu unterbrechen wünsche, ließ er die Karte einfach in der Hand des Beamten und drang mit seinem Koffer hinaus auf den Platz vor dem Bahnhofsgebäude. So mächtig beherrschte ihn die Vorstellung, das Ziel der Reise schon erreicht zu haben. Hier nun, am Sprengpunkte und bei endlicher Beruhigung dieses Castiletzschen Geschosses, fand sich einer, dem es ganz plausibel erschien, daß ein Herr mit Gepäck nach einer guten Unterkunft fragte: und so wies er ihn denn zu dem Gasthof, dessen Vorbau mit

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