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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Knäuel von einander durchschießenden Vorstellungen war plötzlich zerhauen, wie der berühmte gordische Knoten, von einer einzigen Frage – hinter welcher, für Castiletz fast triumphal, irgendein Denkfehler Inkrats durch Sekunden sichtbar wurde:
    Rechts oder links an der Wand?
    Eine Art unkontrollierbarer Muskelbeschluß antwortete aus Conrad auf diese Frage, keine Erwägung. Schon richtete sich der Lichtkegel seiner Taschenlampe rechts vom Gleis auf den schmalen und zum Teil verschotterten Streifen Bodens, der noch neben den eisernen Schwellen im Tunnel bis zur Mauer blieb. Jedoch, hier mußte ihm der Mut entsinken. Zwischen diesen vielen rußigen Steinen und ihren zahllosen Zwischenräumen irgendwelche kleine Gegenstände zu finden, die heute, nach über acht Jahren, mindestens so sehr vom Rauche überzogen sein mußten wie eben alles hier . . . dies war unmöglich, zumindest in Gehetztheit und Eile. Hier brauchte man vor allem eine Erlaubnis und Bewilligung, und eine zweite und stärkere Lampe und eine Begleitung. Conrad stolperte. Er wußte nicht recht, ob er hier am Rande auf die Schwellen treten sollte oder in den schmalen Raum neben diesen. Bis jetzt war er etwa hundert Schritte in den Tunnel eingedrungen. Er kehrte um: immer noch gebückt am Boden hinleuchtend. Hier war von draußen ein Blatt hereingeweht, ein winziges, grünes. Er sah darauf nieder. Plötzlich, ja schlagartig, schien ihm ein längst oder früher einmal erlebter Augenblick wiederzukehren. Er hatte einst Steinchen im gestauten Bache genau betrachtet, die ganz wie ein Krebs ausgesehen hatten. Und dann war es wirklich einer gewesen. Hier jedoch war es ein Beryll-Ohrgehänge, in Gold gefaßt.
    Castiletz kniete langsam nieder. Während sein Herz tief und ganz auszusetzen schien, so daß in seiner Brust geradezu Schweigen und Stille herrschten, zog er das kleine Schmuckstück mit zwei Fingern aus dem Spalt, worin es lag, und hielt es nahe vor die Lampe.
    Castiletz kam aus dem Tunnel und mit festgeschlossener linker Faust die Böschung hinab. Er fegte mit den Schultern das Gebüsch beiseite, trat unter die steil emporstaffelnden Bäume, setzte sich und öffnete langsam und vorsichtig die Hand, als hätte er ein Tier gefangen.
    Ja.
    Ordnung mußte sein. Er rieb den wenigen Ruß sachte mit dem Taschentuch vom Golde und vom Stein, öffnete seine Geldbörse und schob das kleine Schmuckstück in ein gut verschließbares Nebenfach, darin bis jetzt einsam ein Schlüsselchen gelegen hatte.
    Dann war keine Ordnung mehr. Nachdem Castiletz die Hosentasche noch sorgfältig zugeknöpft hatte, begann er eilends den unmäßig steilen Abhang zu erklettern, da und dort mit den Händen an Strauch und Baum einen Halt suchend. Diese immerwährende angestrengte Bewegung nach aufwärts bot ihm eine Art von Ruhe. Weiter oben ließ die Steilung ein wenig nach, es gab einzelne kleine Stufen und Schultern am Berg. Conrad saß im Walde. Vor dem Himmel kreuzte sich verschiedenartiges Geäst, grün, bunt und braun, auch von Nadelbäumen, das letztere sah jetzt aus, als ob es schwarz wäre.
    Und zuletzt kam er ganz hinauf und über den bruchartig abkantenden Rand. Hier zogen vollkommen ebene Äcker weithin. Castiletz wandte sich atmend zurück gegen die Tiefe. Das Land dort unten schien geschwellt und aufgewölbt, mit den scharf rostbraunen Vierecken der Felder, den hellen wassergrünen Farben der Wintersaat, rückwärts der Kimm nicht mehr in herbstlicher Klarheit, sondern in tiefem Dunste. Er stand hier wie auf dem Dache seines Lebens, ja, ganz wie jemand, der viele Jahre hindurch ein Haus bewohnt hat, jedoch zum erstenmal hinauf kommt und aus einer Luke schaut, Bekanntes aus solcher Höhe als neu betrachtend.
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    Hier, indem er die Felder querte, fand er die Landstraße wieder vor und folgte ihr. Im gleichmäßigen Dahinschreiten schüttelte sich der sein Inneres erfüllende Tumult ein wenig zusammen; und wenn auch vom Denken noch keine Rede war, so doch bereits vom Essen der Schokolade, welche Castiletz innerhalb der rechten Rocktasche stückchenweise abbrach. Sein Blick blieb auf den Boden vor ihm geheftet, von der Umgebung nahm er kaum etwas wahr, graugrün nur lag im Augenwinkel der Straßenrand. Es ging nach einiger Zeit bergab. Conrad blieb im gleichen Trott. Er verspürte etwas Hunger, mehr als dies aber noch ein deutliches Verlangen nach – Wein, welchen Zustand man nicht so ganz mit Recht gleichfalls »Durst« zu benennen pflegt. Da sieht man’s, wie sehr

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