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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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dünn der Opferrauch nach, schwebte ein wenig hoch, verschwand in den Zweigen der Büsche, die sich ganz zutraulich oben über die Brüstung lehnten, mit dem zarten Leibe das schwere Portal berührend.
    Es dauerte nicht lange, bis aus diesem ein ganz anderes Geräusch hervordrang, erst leise, dann deutlicher, ein Klappern oder wie der Ton vieler kleiner rascher Schritte. Dazwischen gab es ein oder das andere Mal einen hallenden Schlag. Castiletz, dessen bürgerlicher Instinkt ihm gleich anfangs zugeraunt hatte, daß er hier eigentlich nichts zu suchen habe, zog sich geschickt zurück, etwas mehr seitwärts zwischen die Gebüsche.
    Von hier aus konnte er den Streckenwärter sehen, als dieser nach einer Weile auf Conrads Seite aus dem Stollen hervorkam, also, wenn man hinaus in das Land schaute, rechts. Nun begriff Castiletz die Art des Geräusches. Der Mann ging in der Mitte auf den Schwellen, die zu weit auseinander lagen, als daß man im Gehen je eine hätte auslassen können, und zu nahe beisammen, um einen längeren als eben diesen fast trippelnden Schritt zu gestatten, welcher auf die Dauer einigermaßen anstrengend sein mußte. Der Beamte verließ das Geleise und betrat den verbreiterten Platz zwischen den beiden Tunnelmündungen, wo eine große Signalglocke stand; dahinter gab es, wie sich jetzt zeigte, ein Telephon, das der Streckenwärter nun kurbelnd in Bewegung setzte, offenbar um seine Meldung zu machen. Dann nahm er den langgestielten Hammer, den er beiseite gestellt hatte, wieder auf und verschwand, auf den Schwellen trippelnd, im anderen Tunnelmund.
    Die Gelassenheit, mit welcher Castiletz sich jetzt seine Zigarette anzündete, war nicht ohne Romantik. Hier hieß es auf jeden Fall eine Weile warten! Nun gut. Indessen erlebte Sherlock Holmes eine Überraschung. Denn als diese gute Weile vergangen war – fast dreißig Minuten nach der Uhr – näherten sich die trippelnden Schritte neuerdings, und wieder erschien der Mann in blauer Jacke, mit Tasche und umgehängtem Signalhorn, rechts den Tunnel verlassend. Nun ging er weiter, den Blick unverrückbar auf die Schienen und Schwellen geheftet, gleichmäßig mit kleinen Schritten laufend wie ein Maschinchen. Castiletz sah ihm lange nach. Seine Sicherheit schien etwas erschüttert durch die undurchsichtigen Gepflogenheiten der Bahnverwaltung.
    Er überlegte und wartete. Draußen auf der Strecke wuchs nach einiger Zeit ein Rollen und hier in der Einsamkeit schlug jetzt das Läutwerk kräftig an. Um den Kegelberg im Bogen wehend zog eine Dampffahne. Bald brüllte die nahe Maschine kurz auf und stürzte sich ins Dunkel. Wieder war es ein Lastzug, klappend und klingend verschwanden die rotbraunen Wagen einer nach dem anderen drüben im Schlauch. Castiletz bemerkte, daß hinter dem verschwundenen Zuge kein Rauch aus dem Tunnel kam, auch zeigte davon das Portal dort keinerlei Spuren. Nur auf der rechten Seite hier herüben war der Bogen geschwärzt.
    Es galt nun, noch einen ausfahrenden Zug abzuwarten; dann konnte er’s wagen.
    Nach einer Viertelstunde etwa brauste es im Tunnel. Dann verließ diesen heiß und schnaubend eine Lokomotive, hinter der nur wenige Personenwagen liefen. Auf der letzten Plattform stand ein Schaffner. Aber er konnte Castiletz, den das Gebüsch verdeckte, nicht bemerken. Noch tönte das ferne Rollen des eben erst durch die Biegung unsichtbar gewordenen Zuges, als Conrad aufsprang und – mit den Gefühlen eines autoritätsgläubigen Menschen, der Unglaubliches tut! – über das Gitterchen auf die Strecke setzte. In dem Bestreben, sich einer möglichen Sicht zu entziehen, lief er, die Schwellen nicht sehr geschickt benutzend, geradewegs in den noch vom Rauche, der ihm entgegenzog, erfüllten Tunnel hinein. Jetzt sah er den Ausgang an des Berges anderer Seite, im Rauche seltsamerweise rot, dann gelb, endlich weiß, eine runde Scheibe. Es schien nahe. In diesen Augenblicken erst durchblitzte es ihn, daß er hastig hierhergekommen war, ohne eine geleistete Vorarbeit des Denkens, ja . . . ohne eigentlich genau zu wissen, was er hier nun suchen wollte. Den Schmuck, das heißt also die nach Inkrats Meinung ausgeworfene und vielleicht verstreute Beute . . . War dieser Tunnel Tatort, dann war jene wohl schwerlich schon hier zu finden. Wie ein Trichter, in welchem die ganze Unternehmung bereits versinken wollte, öffnete sich die Erkenntnis, daß keineswegs vernünftige Überlegung ihn gerade hierher geführt hatte. Jedoch, all dieser zappelnde

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