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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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manchen, auch schweren Fall so weit gebracht hatte, regelmäßig versetzt zu werden: welches ihm dann bei den Eltern der Schüler Ruhm verlieh und gute Weiterempfehlung. Zudem war dieser Studiosus und Bankbeamte ein reichlich hübscher Bursche, ja eigentlich schön, von einer etwas feuchten und haarigen Schönheit allerdings, möchte man sagen. Die Frauen liefen ihm nach. Vielleicht hatte der Vater Castiletz das gelegentlich bemerkt.
    In jenen Jahren eines zunehmenden Abscheidens von der Knabenzeit, die vielfach schon ihre Späher draußen hatte im leeren, beruhigteren Vorlande erwachsenen Lebens – wo die Menschen, nach den Begriffen eines Jungen, überhaupt nichts mehr tun, sondern etwa auf das langweiligste und mit auffallend sauberen Schuhen beisammensitzen und reden, ohne irgendwelche Anstalten zu Unternehmungen zu treffen, und daher freilich niemals ihre Kleider beschädigend, ebensowenig die Bücher, welche sie lesen und worin so gut wie gar nichts vorkommt oder drinsteht – in jenen Jahren verfiel Conrad, da er nicht mehr wie bisher unaufhörlich beschäftigt war, beim Herumschlendern und Herumstehen in der Wohnung auf ein seltsames Spiel im Empfangszimmer: dort hing ein großer Spiegel, dessen Glas einen leicht grünlichen Schein zeigte und vielleicht schon die allerersten leisen Spuren des Erblindens. Blickte man zur Zeit der ersten Abenddämmerung mit etwas zusammengekniffenen Lidern in diesen Spiegel und entfernte sich dabei allmählich nach rückwärts – so gedieh das Spiel an einem bestimmten Punkte zum leichten Erschrecken: denn mit leeren, dunklen Augenhöhlen sah einen da plötzlich das Gegenbild an. Durch die Art der Beleuchtung und den gekniffenen Blick blieben von einem bestimmten Punkte an tatsächlich nur mehr jene Höhlungen im Antlitze sichtbar. Kokosch trieb das einige Zeit immer wieder. Dieses Empfangszimmer, von ihm früher völlig unbeachtet, betrat er jetzt gerne, sonderlich wenn ansonst niemand daheim war. Die verschlossene und von dem reinlichen Anhauch der feinen Tapeten und Stoffe erfüllte Luft des Raumes, eine gewisse Unberührtheit und Unverbrauchtheit aller Dinge hier – dies wirkte auf ihn ganz ähnlich wie einst der Geruch des Lackes im frisch gestrichenen Vorzimmer: als eine Ahnung von Ferne oder von Neuem, das so, wie es ihn hier anwehte, nicht anders als gut, nicht anders als reizvoll sein konnte.
    Jenes Spiel vor dem Spiegel aber gestaltete sich noch viel seltsamer, wenn man in umgekehrter Richtung sich bewegte, also auf den Spiegel zuging: da war erst nur der eigene dämmernde Umriß, dann die hellere Fläche des Antlitzes, jetzt schon deutlicher, auszunehmen. Jedoch im gleichen Augenblicke, wo man sich selbst sozusagen erst erkannte, sahen einen auch schon die leeren Augenhöhlen aus dem Gesichte dort in dem andern Raum an. Ein leichtes und tiefinneres Erschrecken war dabei jedesmal kaum zu unterdrücken. Und obwohl Conrad solche Unterdrückung einige Male hintereinander und förmlich übungsweise betrieb, gelang sie ihm meist mangelhaft
    Auch auf der Straße schlenderte man jetzt eher. Früher hatte man’s eilig gehabt: wegen Ligharts, wegen der Molche, wegen der Versuche, wegen fünf Dutzend anderer Dinge. Nun fiel manches ins Auge, was eben ein Mensch mit aufrechtem Gange sieht: die Form der Wolken vor untergehender Sonne am Kanal, eines Gebäudes ferner Umriß, der Strom von Fuhrwerken und Fußgängern auf der Brücke, wenn sich das sonntags im Frühjahre gegen die Auen zu ergoß.
    Das Gebäude jener höheren Handelsschule, in die Kokosch späterhin – nach zweifellos gründlicher Vorbereitung – eintrat, bewirkte auch eine gewisse Festigung des aufrechten Ganges, wenn man so sagen darf. Hier gab es gleich in der großen Vorhalle – das Haus war vor kaum zwei Jahren erbaut worden – ruhige und gesammelte Formen, viel Metall, Glas, Kacheln und gedrungene, mattsilbrig glänzende Heizkörper. Was gelehrt wurde, war für Conrad, dank Albert Lehnders Unterricht, im schwierigsten Teile schon geläufig. Zudem behielt Lorenz Castiletz den Privatlehrer bei, so daß man, im großen und ganzen, der Schule immer um ein Stück voraus blieb. Wenn jetzt, auf dem etwas weiteren Heimwege, den man nunmehr hatte, Gespräche mit den Kameraden geführt wurden, so geschah das in ruhigen, stehenden oder gehenden Gruppen junger Leute, die auch keine Knabenanzüge mehr trugen, sondern Kragen und Krawatte, welche neue Art der Bekleidung für Conrad eine sozusagen nach innen

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