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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ankleiden von ihm darauf Bedacht genommen wurde, sie auf jeden Fall übrigzubehalten. Denn nur nach solchem kurzen Blick über die Umwelt konnte Kokosch einigermaßen beruhigt sein hinsichtlich dessen, daß nicht irgendwo irgendwas ungeordnet und unbemerkt übriggeblieben sei, was sich dann gegen ihn drohend in Bewegung setzen würde. Diese gewisse Wachsamkeit – wie man es wohl nennen könnte – lauschte in ihm jedoch über den benennbaren Kreis von Dingen und Angelegenheiten, die aufgezählt werden konnten, hinaus – Stundenpläne, Anfangszeit des Fußballspielens, Geschäftsdispositionen und ihre Durchführung, Bleistifte, Beginn der Fechtstunde – die Wachsamkeit also lauschte darüber noch hinaus und suchte etwas zu erfahren aus dem äußeren und nicht mehr benennbaren Ring des Lebens, der gleichsam als ein Hof noch um den inneren lag, jedoch keine aufzählbaren Dinge oder Angelegenheiten enthielt. Gleichwohl konnte auch dort Unordnung herrschen, konnte etwas vergessen sein, konnte sich ein Bedrohliches nähern.
    Ja, eigentlich schien Conrad gar nicht imstande, einen wirklich festen Grund der Beruhigung zu erreichen. Oft war seine Gepflogenheit, sich vorzusagen, daß nun wirklich alle Dinge in Ordnung gebracht, die Aufgaben gemacht, kein Tadel oder ernstliches Unheil zu fürchten, die Taschen alle durchsucht und sämtliche Sachen an ihrem Platze seien – oft war auch das alles ganz unvermögend, Conrads Grundgefühl unter allem und jedem zurückzudrängen: daß nämlich irgendwo irgendwas doch nicht in Ordnung und daher in gefährlicher Annäherung sich befinden müsse.
    Es geschieht oft, daß ein erwachsener Mensch, der nach einer ihm unbekannten Straße fragen will oder sonst eine Auskunft dieser Art braucht, gern solch einen frisch und wohl aussehenden Jungen, wie Conrad einer war, darum anspricht. Bei diesen vorkommenden Anlässen erschrak Conrad jedesmal. Einmal bat ihn ein Polizeibeamter in Uniform, der in dieser Stadtgegend fremd schien, ihm zu sagen, wo sich hier in der Nähe ein Geschäft für Schreibbedarf befinde, was er ja als Schüler wohl wissen werde? Kokosch war indessen kaum fähig, die Auskunft hervorzubringen. Nachdem der Herr in Uniform in der bezeichneten Richtung fortgegangen war, blieb Conrad geradezu hilflos zurück: aber jetzt kämpfte er gegen diesen Zustand schon an. Ihm war zumute, als hätte man ihn verprügelt. Er ging heim, Häuser und Gehsteig lagen wie unter Wasser vor seinen Augen oder ganz leer und flächenhaft, so angestrengt zog und würgte er an dieser über ihn Gewalt habenden Erscheinung, welche ihn tief aus seinem sonstigen Leben herabdrückte.
    Wenn auch das alles näher und selbstverständlicher war als das Hemd, welches er trug – es brachte doch bei Gelegenheit einen seltsamen Einfall hervor, dessen Durchführung wohl eine Art von Gegenmaßnahme hätte darstellen können.
    Als bei versammelten Vorstandsmitgliedern des Fechtklubs ›Hellas‹ die Castiletzsche Wohnung wieder einmal mit dem Kollern und Räuspern der Gespräche im Speisezimmer, den Gerüchen feiner Küche und feiner Zigarren erfüllt war, sah Conrad, der eben aus seiner Stube ins Vorzimmer schlüpfen wollte, durch den Spalt der noch kaum geöffneten Türe, draußen einen der Herren Vorbeigehen, in jener würdig und durch das plötzliche Alleinsein in sich verschlossenen Art, die aber auch ohne Zeugen ihre Haltung ganz vorträgt: so also, wie ein Mann, der was auf sich, die eigene Meinung, aber auch die Meinung der anderen hält, dem angenehmen und weitertönenden Männergespräche für ein kurzes entschreitet, um dort draußen den Dingen ihren Lauf zu lassen. Gleich darauf erschien das Mädchen Sophie im Vorzimmer, bei welcher der Zurückkehrende dann einen kleinen, aber zärtlichen und handgreiflichen Aufenthalt nahm. Conrad fürchtete bemerkt zu werden – jedoch fürchtete er das nicht eigentlich seinetwegen – indessen war es augenscheinlich nicht der Fall, und bald lag das Vorzimmer wieder leer.
    Hier, aus dieser Quelle, entsprang bei Kokosch ein seltsamer Gedanke.
    Er beschloß, derartige Beobachtungen aufzuschreiben. Er fühlte dabei etwa die Möglichkeit voraus, sich in den Besitz von Kenntnissen über andere zu setzen, die sozusagen ein Gegengewicht hätten abgeben sollen für alles, was ihn bedrohte, eine Art Versicherung gegen die ständig lauernden Gefahren, und besonders gegen solche, von denen er vielleicht gar nicht wußte. Auch jene dort wußten nichts von seiner Zeugenschaft,

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