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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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ahnten nichts von seinem Wissen. Schon wollte er die Waffe schmieden, schnitt sogar bereits Papier zurecht zwecks Anlegung einer Art von kleinem Akt – da kam die Mutter und rief ihn hinüber zu den Herren. Denn diese waren bezüglich der richtigen Übersetzung eines lateinischen Sprichwortes – deren zahlreiche ins Gespräch zu fließen pflegten – uneins geworden, weshalb man des »kleinen Lateiners« zur Auskunft bedurfte, die jener dann auch genau und mit keinem Worte zuviel unter den zärtlichen Blicken des Vaters erteilte.
    Dort im Speisezimmer, wo ja auch der erleichtert Zurückgekehrte wieder in den angenehmen Nebeln des Gespräches, der Weine und der Zigarren saß, war jedoch für Conrad der erschaute Sachverhalt in keiner Weise mehr anschaulich gewesen. Wieder allein in seinem Zimmer und vor den leeren Papierblättern, fühlte er sich unvermutet durch auftauchende Schwierigkeiten dieser Art von Niederschrift und sonderlich ihrer Aufbewahrung gelähmt, und so geschah es weiterhin, daß zunächst der ganze Plan in sich zurückfiel.
    Ähnlich ging es jetzt übrigens mit den chemischen Versuchen.
    Sie wurden nicht fortgesetzt, und das, obwohl die seltsam geformte gläserne Versammlung auf dem Kasten dort oben sich erheblich vermehrt hatte, so daß der ursprünglich erworbene Schatz nur deren kleine Mitte mehr ausmachte. Es gab sogar jetzt ein ganz ausgefülltes, sehr schönes kleines Gestell für Probiergläser. Dies stammte alles aus den Tagen nach dem teuflischen Unglücksfalle, den Bleistift betreffend. Lorenz Castiletz war selbst mit dem Söhnchen beim Glaser gewesen, dem erfreuten Meister »Gramm«, einkaufend, was nur Kokoschs Herz begehrte. Aber, in Wahrheit, dieses Herz begehrte damals nichts mehr von alledem, und Conrad war bei dem ganzen Vorgang von einer außerordentlichen Betretenheit, die aber keinerlei Gelegenheit fand, sich zu lüften oder zu befreien. Denn Lorenz Castiletz fuhr jetzt auf seinem warmen und großmütigen Geleise ebenso getrieben und eifrig dahin, wie einst Kokoschs kleine Eisenbahn, welcher der Vater am Bauche liegend die Weichen gestellt, auf dem ihren, wenn das Uhrwerk stark aufgezogen war.
    Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß Kokosch in der Folgezeit seinem Vater gelegentlich ein wenig von chemischen Versuchen erzählte, die in Wahrheit gar nie mehr angestellt wurden. Würdig gebläht und leicht angestaubt saßen Retorten und Kolben dort oben auf dem Kasten, jede Woche einmal wieder glänzend, wenn Sophie – mit großer Vorsicht, aus Zuneigung für Conrad, zugleich aber im Herzen diesem vielen »Zauberkram« fluchend – die Sachen abgestaubt hatte.
    Sie wurden später einmal verschenkt.
    Kokosch begann ja auch schon ein größerer, ja man kann sagen, ein ganz großer Junge zu werden. Die Untermittelschule ging zu Ende, und dann sollte Conrad diese Anstalt verlassen, um sich, zunächst in einer höheren Handelsschule, auf einen verwandten Beruf vorzubereiten wie jener, in welchem sein Vater tätig war. Schon jetzt, die Mittelschule besuchend, erhielt er häuslichen Unterricht durch einen Privatlehrer in der Handelskorrespondenz, der Stenographie und den Anfängen der Buchführung, zugleich mit weiterer Pflege seiner als Kind bereits erworbenen englischen und französischen Sprachkenntnisse, darüber hinaus auch noch Unterweisung in der Grundlage aller technischen Fächer, der darstellenden Geometrie.
    Dieser Privatlehrer hieß Albert Lehnder und war ein durch die Teilnahme am Kriege verspäteter Student der Rechtswissenschaften, Kind von einst vermöglichen Leuten, jetzt aber gezwungen, sich und seine Mutter zu erhalten. Er arbeitete auf einer Bank, vermehrte sein kleines Einkommen durch Stundengeben, und irgendwann mußte er wohl auch studieren, denn er legte von Zeit zu Zeit auf der Universität eine Prüfung ab. Das eigentlich Bemerkenswerte an Lehnder aber war, daß er bei alledem keineswegs von Tugend dampfte, ja, es schien fast das Gegenteil der Fall: so daß etwa Lorenz Castiletz, obwohl er den jungen Mann achten mußte und auch über ihn niemals etwas Nachteiliges erfahren hatte, doch ein sozusagen halbgesenktes Auge des Mißtrauens auf ihn hielt, eines Mißtrauens, das er übrigens selbst heftig zu bestreiten jederzeit bereit und fähig gewesen wäre.
    Für Kokosch aber war Lehnder ein guter Lehrer; der Junge lernte eigentlich ihm zuliebe, und diesen Zustand herbeizuführen, darin gerade bestand Alberts besonderes und bewährtes Geschick, durch das er schon

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