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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Das sind ›Schecks, ausgestellt auf ein Bankhaus, wo wir kein Guthaben besitzen‹, wie ein englischer Dichter einst sagte. Nein, Herr Castiletz, ich bitte Sie also, Glasaugen zu bekommen, durchaus Glasaugen. Anders geht’s nicht, auch mit der Schubert nicht. Zudem hat niemand das Recht, einen anderen an dessen schwächster Stelle zu provozieren. Die Glasaugen sehen weniger schön aus, stehen aber zweifellos sittlich höher als die gütigen Kalbsaugen.«
    Herr von Hohenlocher, den diese eigene lange Rede, welche er offenbar für unumgänglich gehalten, nicht nur gelangweilt, sondern geradezu erschöpft hatte, versank in Schweigen und zwischen die Kissen im Hintergrunde seiner Diwanecke. Conrad Castiletz jedoch, der längst vom romantischen Kamine wieder herangekommen war und seinen früheren Platz im Armsessel bei dem flaschenbesetzten Tischchen neuerlich eingenommen hatte – Castiletz dagegen schien durch die Auslassungen des Hausherrn in plötzliche Anspannung versetzt. Seine Blicke griffen an den Gläsern herum, als wollte er diesen gebrechlichen und durchsichtigen flachen Schalen eine Kontur abnehmen, die ihm innerlich nicht ganz gelang, weil ihm das Wort hier nicht so ohne weiteres zu Gebote stand, wie dem Trinker das Glas.
    Er beugte sich vor und sagte, den Blick immer an die Tischkante geheftet:
    »Sie meinen also, daß es vorteilhafter, ja, durchaus nützlich und notwendig sei, sich nicht so ohne weiteres an jeden einzelnen Menschen oder auch an eine Gesellschaft, in die man gerät, anzupassen, das heißt, allzu nachgiebig und liebenswürdig zu sein ... sondern, gewissermaßen, daß es besser wäre, allein dazustehen und, was ja sozusagen die andere Möglichkeit bedeuten würde: ein kühles und zurückhaltendes Wesen zu zeigen, womit man dann in der Verlängerung dieser Möglichkeit am Ende doch weit weniger anstieße, ja, eigentlich viel mehr gesucht werden würde ... Sie meinen, daß man sich davon mehr Vorteil versprechen könnte?«
    Castiletz schaute ihn bei dieser etwas stockend vorgebrachten Rede nicht an, den Herrn von Hohenlocher: denn sonst hätte er hinter dessen halbgeschlossenen Lidern jetzt eine Art Glasaugen bemerken können, mit welchen jener seinen Gast betrachtete, wie eine seltsame Pflanze im Herbarium. Sie schwiegen beide durch eine Weile. Dann äußerte der Hausherr:
    »Nun gut. Sie sagen: Vorteile, vorteilhaft. Sollte meinen, daß es sich hier im Grunde um etwas handelt, das man eine Haltung zu nennen pflegt. Bei einer solchen hat jedoch der Nutzen oder Schaden, den sie mit sich bringt, nur eine Bedeutung zweiten Ranges. Haltung legitimiert sich selbst wohl anderswoher.«
    Conrad sah auf. Er wußte um einen Fehler. Vielleicht noch mehr als das: um einen Fehler, den er nicht zum ersten Male in seinem Leben beging, der somit wichtig, bedeutungsvoll war. Jedoch, er rang vergeblich danach, ihn klar zu erkennen, ihn festzustellen, kurz: Ordnung zu machen. Zugleich aber erhob sich hier zum zweiten Male für ihn, und in ganz neuer Gestalt, was bisher nur sein Vater gewirkt hatte: die Autorität.
    Jedoch ohne die Schwärze des Ebenholzes.
    19
    Sehr zur rechten Zeit erschien die Schubert, angekündigt durch das Schnurren einer vor dem Hause haltenden Droschke und hallende und freundliche Gespräche im Hausgang mit dem Lenker, welcher ihr das Gepäck herauftragen half.
    »Machen Sie Kaffee für uns«, sagte Herr von Hohenlocher, »und heizen Sie bei Herrn Castiletz drüben ein.«
    Und zu Conrad: »Sie können noch etwas mit dem Auspacken warten, bis es warm ist. Falls Sie daheim zur Nacht essen wollen, sagen Sie es der Schubert, sie bringt Ihnen das Abendessen hinüber. Ein Nachtmahl pflegt sie mit siebzig Pfennigen zu verrechnen.«
    Damit hatte der Hausherr auch gesagt, daß er allein zu speisen wünsche.
    Es trat Schweigen ein, und dieses dauerte lange. Im Kamin glühte still rötend der Koks durchs Gitter. Einmal sagte Herr von Hohenlocher:
    »Ja, ja, es kommen die neuen Dinge und Umgebungen des Lebens oft ganz dünn und rasch von außen heran, sozusagen nur begrifflich, wie der Name einer Stadt: aber dann füllen sich die leeren Rahmen mehr und mehr; ihr Inhalt wird verpflichtend, dadurch, daß er über die bloßen Tatsachen weit hinausreicht, und dann ist es eben: das Leben – wie man so hübsch zu sagen pflegt. Zuerst aber hat man nur im Kursbuch einen Zug herausgekramt und ist irgendwohin gefahren.«
    »Wie schön ist es – das Leben«, sagte Conrad, mit ungemäßer Heftigkeit, im

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