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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vergleiche zu von Hohenlochers beiläufiger Redeweise.
    »Ich kann diese Feststellung mit fünfundvierzig Jahren nur vollinhaltlich bestätigen«, erwiderte jener. Und dann wurde nichts mehr gesprochen.
    Drüben fand Conrad die kleine Wohnung hell und warm. Er war glücklich. Hätten nicht des Herrn von Hohenlocher autoritative Aussprüche wie ein lastender Deckel seinen Mund verschlossen – er wäre mit der Schubert unweigerlich »ins Gespräch« geraten. Jedoch, wie die Dinge nun lagen, unterblieb dieses Gespräch wirklich, und der Meinungsaustausch ging über das Sachliche – nämlich die Unterbringung von Conrads Anzügen, Schuhen und Stößen von Wäsche – nicht hinaus. Kleinigkeiten gab es einige (auch Fechtsachen), doch fehlte hier der ganze lästige Krimskrams des Rauchers, die Beutel, Taschen, Pfeifen, Schalen. Bücher waren nur wenige vorhanden.
    Sie befanden sich in einem kleinen flachen gelben Koffer. Conrad öffnete ihn. ›Die Bandweberei‹ von Otto Both lag obenauf, daneben Dr. W. Zänkers ›Färberei‹, Bibliothek der gesamten Technik, zweihundertundelfter Band. Außerdem vom gleichen Autor die ›Chemische Bearbeitung der Schafwolle‹. Ein unangenehmes Kapitel! Riecht fad! Conrad bemerkte seltsamerweise erst jetzt, in diesen Augenblicken, daß er etwas berauscht war (»nehmen Sie Gin, ohnehin das vernünftigste Getränk!«). Der Koffer hatte innen am Deckel eine Tasche aus gefälteltem Atlas, mit Gummi. Conrad sah hinein und erblickte flüchtig ein blaues Heft. Er ließ die Bücher drinnen (beim Aufheben der ›Färberei‹ zeigte sich noch Platons ›Gastmahl‹) und sagte zu Frau Schubert:
    »Diesen Koffer mit den Büchern geben Sie bitte auf den Kasten hinauf und schieben Sie ihn nach rückwärts.«
    Das Mäuschen mit den einladenden hellen Augen stieg alsbald auf einen Stuhl und führte, possierlich nachstupsend, da sie ja sehr klein war, die gegebene Anweisung durch.
    »Schöne und viel Wäsche haben Sie, junger Herr«, sagte sie dann, mit dem Einschichten beschäftigt.
    Conrad antwortete – nichts.
    Alles wurde ganz genau geordnet und überblickt. Auch die Waschsachen, damit am Morgen kein Zeitverlust eintrete. Mit bemerkenswert sicherem Instinkt legte Castiletz blaue Arbeitskleider in einer Aktenmappe bereit, nicht den weißen Arbeitsmantel, wie ihn die Reutlinger Textilschüler an den Maschinen zu tragen pflegten.
    Es war, wie einst der Schulbeginn im Herbste, als man ein wenig die Nase in die neuen Bücher gesteckt hatte, die noch leicht widerstrebend sich öffneten und buchhändlerisch rochen, noch nicht nach der Schule. Man stand in der Mitte des Zimmers, das seltsam erweitert wirkte, verglichen mit den ländlichen Stuben und Kammern, und verheißungsvoll roch, mit einer Ahnung von Fernem und Neuem darin. Ja, alles war neu (und dabei in Ordnung), und man hatte ein wenig Abstand gewonnen und eine gekühlte Frische zwischen sich selbst und allem, dem Zimmer, dem Schulweg morgen, den Büchern.
    Hier übrigens schien in der Tat alles neu zu sein, oder neu hergerichtet, bis zum Kleinsten herab. Die hell ockerfarbenen Möbel, deren schönen glatten Lack man noch ein wenig riechen konnte, hatten an ihren runden Kanten schmale Streifen von roter Farbe, so daß die gedrungenen neuzeitlichen Formen um so betonter das Zimmer beherrschten.
    Ja, nun war alles fertig, ja wirklich. Er wusch die Hände in dem putzig kleinen Badezimmer, das sein besonderes Entzücken bildete. Frau Schubert kam mit dem Essen.
    Eine Stunde später ging Castiletz zu Bett, in dem rückwärtigen Raume, dessen Fenster auf den jetzt dunklen Hof mit den Klinkern hinaussahen. Am Nachttisch befanden sich der Stadtplan und jenes Album, die Jubiläumsschrift der Firma Carl Theodor Veik (der »Quetsche«, nach Herrn von Hohenlocher). Conrad lag auf dem Rücken. In ihm klang jetzt alles durcheinander, wie summende Saiten, jedoch harmonisch und in irgendeiner Weise glücklich geordnet. Plötzlich empfand er – obwohl das Nachtmahl reichlich gewesen war – während einiger Augenblicke geradezu Heißhunger und stellte sich dabei lebhaft einen sogenannten ›Kimmicher‹ vor, ein für Reutlingen eigentümliches Gebäck von gebauchter und gezipfelter Form. Jedoch verging der Hunger gleich wieder, und nun wußte er, daß er gar nicht imstande gewesen wäre, einen ›Kimmicher‹ zu verzehren, er hätte ihn am Nachttischchen liegen lassen. Etwas anderes kam dahinter hervor, senkte sich gleichsam auf ihn herab: die Vorstellung von

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