Ein Mord den jeder begeht
jünger.«
»Sie sprechen von der Frau des Gerichtspräsidenten, der ... hierher versetzt werden soll, wie ich hörte, nicht wahr?« sagte Castiletz beflissen und höflich.
»Ja, die Frau vom Robert Veik. Sie heißt Gusta. Ihre Schwägerin ist kinderlos, wie Sie vielleicht schon wissen werden, und Gusta Veik hatte zwei Töchter, jetzt nur noch eine.«
»Die andere ist gestorben?«
Von der Straße tönte ein Schrei, ziemlich durchdringend, wie etwa ein kleines Mädchen ihn ausstößt, das man beim Haschen endgültig erwischt. Herr von Hohenlocher wandte den Kopf, und Conrad tat es gleichfalls, einmal sozusagen in einer Art Höflichkeit, zum andern, weil er wirklich erschrocken war und das durch eine äußerliche Bewegung überbrücken wollte.
»Na ja, gestorben . . . man hat sie umgebracht«, bemerkte von Hohenlocher und gähnte wieder.
»Aber ...!« sagte Castiletz und neigte sich vor.
»Sie war selbst schuld, durchaus. Sie ist einem Raubmord zum Opfer gefallen.«
»Einem Raubmord ... ja, inwiefern war sie denn selbst daran schuld?«
»Ein liebes Mädel . . .« sagte von Hohenlocher wie in einem Selbstgespräche vor sich hin, »auch – gewissermaßen bedeutend, soweit man so etwas von einer Neunzehnjährigen sagen kann. Aber verrückt. Die Veiks sind doch schwer reiche Leute, na, das wird Ihnen ja nicht so neu sein. Natürlich auch der Bruder, unser künftiger Präsident, ist ja auch als Erbe an den Fabriken beteiligt, versteht sich, außerdem ist ein riesiges Vermögen da. Nun, sie war verrückt, hatte die Schmuck-Narretei, aber in einem Grade, wie ich derartiges noch nie gesehen oder gehört habe. Der Alte, verliebt in die jüngere Tochter – Louison hieß das Kind – hat ihr einen wahren Nibelungenhort zusammengekauft im Lauf einiger Jahre, einfach phantastisch, sage ich Ihnen, ein ganz ungewöhnlicher Besitz für ein kaum zwanzigjähriges Ding, lauter erlesene Sachen. Die haben sie denn am Ende das Leben gekostet. Sie ist viel gereist, zu Verwandten hier in Deutschland, auch auswärts, und jedesmal schleppte sie dieses ganze Rheingold mit. Wäre ja eigentlich vom Vater nie zu gestatten gewesen, ich weiß auch nicht, ob ihm das bekannt war. Sie soll stets außerordentlich unvorsichtig gewesen sein, spielte mit den Ringen herum, womöglich in Gegenwart Fremder, im Hotel oder im Zuge. Na, so kam’s denn einmal. Von dem Schmuck ist übrigens nicht ein einziges Stück jemals wieder zum Vorschein gekommen.«
»Und die Täter?«
»Kennt man bis heute nicht.«
»Ja – wann geschah denn dieses Unglück?«
»Weiß ich nicht mehr so genau. Es dürfte vier bis sechs Jahre her sein, ungefähr, oder noch länger.«
Conrad erwuchs wieder einmal zur romantischen Person: einem solchen Falle gegenüber, in dieser neuen und anziehenden Umgebung ... er nahm ganz freiwillig einen großen Schluck von dem Gin. Dieser weite Raum mit dem dunklen Hintergrunde, daraus es durch die Glimmerplatten des Kamins schwach rötlich strahlte – Frau Schubert hatte vor ihrem Weggange den Koks nochmals durchgerüttelt – das wenige warmbunte Licht über dem Lager, ja auch das ungewohnte Getränk aus flachen Schalen und dieses ganze Gespräch, welches sie da führten – Castiletz sah das jetzt geradezu von außen, und mit Genuß. Jedoch mochte es wenig zu alledem passen, als Herr von Hohenlocher bemerkte:
»Das sind die Krankheiten der allzu reichen Leute. Und manche sterben daran.«
Und, nach einer Weile:
»Sie sah ihrer Tante Manon irgendwie ähnlich, mit der sie doch gar nicht blutsverwandt gewesen ist.«
»So . . .?« sagte Conrad, der sich erhoben hatte und (vielleicht um die Romantik noch feiner herauszuschleifen) nach rückwärts an den Kamin getreten war. Und von dort startete er seinen Vergleich zwischen Frau Manon Veik und den Bildern der Marie Laurencin.
»Stimmt«, sagte Herr von Hohenlocher. »Sie haben recht. Die andere, Marianne, ähnelt dem Vater. Louison war dunkel, so wie ihre Mutter, Gusta Veik. Gleichwohl waren beide Mädchen unschwer als Schwestern zu erkennen.«
»Die Wirkung des Unglücks auf die Familie muß doch eine entsetzliche gewesen sein«, sagte Castiletz, »und ... da nimmt mich nun etwas wunder.«
»Ja, was denn?«
»Nun, verzeihen Sie – obwohl es andererseits wohl begreiflich und entschuldbar sein mag, wenn ich in der Familie meines künftigen Chefs gerne Bescheid weiß, weil das ja für mich nützlich und notwendig ist, schon um nirgends anzustoßen – verzeihen Sie, mir fällt jetzt
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