Ein Mord den jeder begeht
auf, daß Frau Geheimrat Veik, Madame Laurencin also, von dem stets regen geselligen Leben im Hause Robert Veik sprach, was immerhin erstaunlich bleibt. . .«
»Nicht so sehr, wenn man die näheren Umstände kennt – abgesehen davon, daß ja über ein halbes Jahrzehnt seit der Katastrophe vergangen ist. Wußten Sie übrigens von alledem gar nichts? Ihr Vater kennt doch den jetzigen Chef beider Firmen schon durch eine lange Reihe von Jahren, soviel ich gehört habe?«
»Mein Vater hat mir, soweit ich mich erinnern kann, nie davon erzählt. Vielleicht wußte er selbst nichts, oder nichts Näheres, am Ende sind die beiden Herren doch nur Geschäftsfreunde, wie man zu sagen pflegt. Und dann – seit dem Ableben meiner Mutter hat mein Vater sich . . . außerordentlich verändert; er ist sehr gealtert, hat sich ganz in sich selbst zurückgezogen. Ja, ich glaube, den Namen Veik hab’ ich überhaupt zum ersten Male gehört, als es schon hieß, daß ich hierherkommen sollte, drei Wochen vorher etwa. Vielleicht wollte mein alter Herr mich auch sozusagen ganz unbefangen lassen, ich weiß es nicht. Will ihn gelegentlich fragen.«
»Unbefangen . . .« wiederholte Herr von Hohenlocher. »Na ja, ganz recht. Was die Sache mit dem geselligen Leben im Hause Veik angeht, so hängt das mit Marianne zusammen. Solange ihre jüngere Schwester lebte – die beiden Mädchen sind übrigens kaum einundeinhalbes Jahr auseinander gewesen – hatte diese ganz unbedingt die Führung, obwohl Marianne, oder Marion, wie sie auch oft genannt wurde, ein wirklich hübsches, großes blondes Mädel ist . . . nun, Louison war die Elegantere, die Interessantere in jeder Hinsicht. Der erklärte, ganz offenkundige Liebling des Vaters. Sie hatte so was Südländisches an sich, wie die Mutter, eine seltsame Rasse . . . ihre Schwester soll durch sie vollkommen unglücklich geworden sein, ich hörte mal so was, das war in Leipzig, wo ich bei Veiks viel verkehrte: irgendein Verlöbnis Mariannes ist wegen Louison auseinandergegangen, aber die hat dann von dieser Lage ihrerseits offenbar auch keinen Gebrauch gemacht . .. na, wie immer: diese Sachen waren damals ziemlich offenkundig. Der Alte hat nun alle Liebe dem einen Kinde zugewendet, das ihm geblieben ist, gleichsam um Versäumtes nachzuholen, woll’n wir mal sagen ... ’s ist ja verständlich. So sind denn die Lebensgeister im Hause Veik späterhin wieder erwacht.«
»Ja freilich, nun verstehe ich’s wohl«, bemerkte Conrad vom Kamine her.
»Da fällt mir ein«, sagte Hohenlocher nachdenklich und langsam, »daß Marion einmal von ihrer Schwester Louison gesagt hat, sie sei ›so eine Art Männlein Zapp‹ – das ist nun irgend so ein Männlein, dessen Auftauchen Unglück bedeutet – ›eine bestimmte Art von kleinen alten Männern, wenn mir die häufig auf der Straße begegnen, dann geht allemal was schief‹. So sagte sie. Könnte von E. T. A. Hoffmann sein, vielleicht hat sie’s auch da wo her gehabt. Das nannte sie also ›Männlein Zapp‹. Und Louison war ihr ›Männlein Zapp‹. Also eine Art Klabautermann für Verlöbnisse, so möchte man’s nennen.«
Die nachlässigen und wie im Selbstgespräch vorgebrachten Indiskretionen Hohenlochers hatten ihren tiefsten Grund vielleicht in einer so grenzenlosen Gleichgültigkeit, daß sie Castiletz als solche gar nicht erscheinen konnten: diese Gleichgültigkeit erhob sich bestenfalls zum Amüsiertsein über all die berührten Verhältnisse, konnte aber ebensogut in ein völliges Vergessen der Sachen innerhalb weniger Augenblicke umschlagen. Denn im gleichen Tone fuhr jetzt der Hausherr fort:
»Wegen der Schubert wollte ich Ihnen etwas sagen. Die hat nämlich auch einen Sparren, den man kennen muß. Die meint, sie wird noch heiraten, ich glaube, sie hat sogar irgendeinen Kerl, bei dem sie’s – ernst meint. Die Heillosigkeit dieser Sachen zeigt der Augenschein – will sagen, wenn man das kleine Schubertlein anschaut. Der Kerl natürlich tut von Zeit zu Zeit, oder immer, nicht gut, läuft einer andern nach, oder so ... nun, an sich ist das uninteressant; jedoch kommt bei solchen Anlässen die sozusagen schwächste Stelle des Schubertschen Charakters zum Vorschein, sagen wir mal: das Schubertsche punctum minimae resistentiae. Das ist nun gar nicht so leicht zu beschreiben. . . Es enthält wohl jeder Charakter einen vom Schöpfer tief eingebauten absichtlichen Konstruktionsfehler in seiner Mechanik, als die größte Gefahr, aber auch die größte
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