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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Möglichkeit für das Leben des Trägers, letzteres etwa so, daß einer nur diese Stelle zu entdecken braucht, um damit auch schon seinen ganzen übrigen Charakter aus den Angeln heben zu können, ihn aufzuheben, und völlig frei zu werden . . . na, wahrscheinlich ist das der gemeinte Sinn solcher Erscheinungen, oder sollte es wenigstens für gläubige Gemüter sein, sagen wir mal: jeder Charakterfehler eine Lebensaufgabe. Na prosit! Eher wird’s schon mit den Gefahren der bewußten Fehlkonstruktion stimmen; und der gewisse Punkt, von welchem aus man, im früher angedeuteten Sinne, sein ganzes Leben sozusagen erwischen könnte, das wird wohl in der Mehrzahl der Fälle jener Punkt sein, wo man seinerseits vom Leben erwischt wird. Na, den hat wohl jeder. Die Schubert, die steht und fällt mit ihrer Selbsttäuschung, mit ihren irgendwo in der Zukunft liegenden Heiratsplänen mit irgendwem. Wird diese Selbsttäuschung einmal gar zu brutal von den Tatsachen an die Wand gedrückt, dann – macht sie sich nicht etwa von der Selbsttäuschung frei, indem sie den Tatsachen sozusagen nachgibt, sondern sie bricht aus, wie ein Pferd, das nicht springen will, vor der Barriere ausbricht, und sogar durchzugehen versucht, was allerdings nicht möglich ist. Das Leben ist jedoch kein Sprunggarten mit hohen Hecken links und rechts, oder aber, es sind die Hecken weniger sichtbar, diskret angebracht, man sieht sie nicht . . . jedenfalls geht die Schubert in solchen Fällen immer durch. Kriegt ein verweintes Gesicht, aber wütend, klein und kontrakt wie eine nasse Faust. Es ist ein eigentümlicher stumpfer Zorn, der sie da packt, ein ganz hoffnungsloser, sie ist damit sozusagen neben jede Möglichkeit der Vernunft entgleist. Na, bekanntlich sind alle Arten von Lebensflucht im Grunde pathologisch; ’s ist ja auch nichts anderes bei meiner Schubert. Sie flieht aus ihrer Schwäche und Nichtsbedeutung als Weib in wütende Zusammenballungen, um nur jene Sachverhalte nicht erkennen zu müssen. Einmal kam ich dahinter, daß sie vor Wut drei Tage nichts gegessen hatte. Fiel hin wie ein Tuch. Ein andermal schnitt sie sich (so gut wie absichtlich, meiner Meinung nach) beim Gemüseputzen, ließ aber dann den ganzen Tag über diese nicht unbedeutende Wunde völlig unversorgt – das schon unzweifelhaft absichtlich, oder, besser gesagt, tendenziöse – und die Küche war voller Blutflecken, wie eine Fleischbank. Sie werden fragen, warum ich sie nicht rausschmeiße. Aber erstens ist sie kreuzbrav, verläßlich und eine nun von mir im Lauf der Jahre glücklich durchgeschulte Junggesellenbedienung, die mir nicht Pumps bringt, wenn ich schwarze Halbschuhe verlange, und weiß, daß man zum Abendanzug keine Wollkrawatte trägt. Zweitens kriegt sie ihren Koller höchst selten, alle ein, zwei Jahre mal. Und drittens macht es mir Spaß. Ich bin neugierig, wie das Ding einmal ausgehen wird mit ihr. In Bedarfsfällen pflege ich abends den Hauptgashahn abzuschalten und das davor befindliche Türchen zu versperren. – Nun aber zu Ihnen, das heißt zu dem Rezept, das ich Ihnen für die Schubert geben will: man muß sich hüten, daß sie einem nicht ihr Leid klagt, mit einem kleinen kontrakten Gesicht wie eine nasse Faust. Denn man wird da unbedingt zum Trostspenden durch vernünftige Gegengründe verleitet – und dies kann nur verschlimmernd wirken, wie Sie nach dem Gesagten wohl einsehen werden; weil man ja dann in der verkehrten Richtung zieht, nämlich sozusagen zum Leben hin. Jedoch so einfach sind pathologische Mechanismen nicht, daß man sie herausziehen könnte wie einen krummen Nagel aus dem Brett. Nicht einmal für normale Affekte langt solcher Gegenzug. Darum: erlauben Sie nicht, daß sie Ihnen ihr Leid klagt. Bekommen Sie sofort befremdete Glasaugen, die aus dem Zimmer weisen. Das muß man überhaupt lernen, leider. Das falsche Sozialisieren hat keinen Sinn (nur das richtige hat einen, sieht aber ganz anders aus). Es kann einen ungeheueren Fehler darstellen, sich immer gleich jedem Narren anzupassen, entgegenzukommen, verständnisvoll und lieb und gut zu sein. Damit deutet man eine menschheitsumarmende Haltung sehr vornehm an, tritt sich aber selbst auf die Füße und fällt am Ende mit der Nase mitten in seine eigene Verbitterung, seinen Groll, seine Sentimentalität, kurz in seine miserabelsten Möglichkeiten hinein wie in einen Sumpf. Und man endet mit Böswilligkeit. Solche gefallsüchtige Menschlichkeit und solchen Edelmut hält niemand durch.

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