Ein Mord den jeder begeht
konnte ja ihrer Art nach nicht anders. Sie zeigte für Derainaux außerordentliche Achtung, ja, eigentlich viel mehr als das: einen sicheren und genauen Instinkt für die sich hier erhebende Autorität. Und nur darauf kommt es letzten Endes einem spirituellen Menschen gegenüber an, womit sich die Kritik im einzelnen von selbst erledigt, weil jedes Gebrechen einer solchen Person in ihrer Organik seinen Platz hat. Als Mann hat der Franzose für sie überhaupt nichts bedeutet. Bis heute allerdings sind meine Frau und ich die einzigen Menschen geblieben, die das wirklich, wissen. Wir wußten es auch damals schon, noch lange vor Derainaux’ Flucht aus Leipzig. Aber, denke dir, wir konnten gar nicht wagen, dies Marianne auch nur ein einziges Mal anzudeuten. So furchtbar, ich muß geradezu sagen, tierisch war ihr Leiden, daß sie Louison alle Absichtlichkeit, die sich nur denken läßt, in allen Einzelheiten unterschieben mußte – eine polemische Konstruktion nennt man dergleichen auch – wie um im Hasse ihren Schmerz zu betäuben, in einem Hasse, der jetzt wie der Funke an einer Zündschnur durch ihr ganzes Leben zurücksprang bis in die Kinderjahre und ihr freilich den früher beschriebenen Sachverhalt im Rückblicke riesengroß zeigte, jedoch – als ein Werk Louisons.«
Conrad erinnerte sich nochmals der beiläufigen und, wie ihm jetzt schien, leichtfertigen Art, in welcher Herr von Hohenlocher diese ganzen Vorgänge einst angedeutet hatte. Er empfand plötzlichen Ärger – zugleich aber etwas wie Neid gegenüber solch unverbindlicher und unverstrickter Auffassung der Sachen, ja, geradezu Sehnsucht danach.
»Im darauffolgenden Jahre ereignete sich die Katastrophe mit Louison«, sagte der Präsident.
»Wann geschah das eigentlich?« fragte Castiletz und eigentlich überflüssigerweise: sein Vater hatte ihm ja noch genau darüber geschrieben.
»Im kommenden Sommer werden acht Jahre seitdem vergangen sein«, erwiderte der Präsident.
Conrad hätte nun freilich sagen können, daß er zur Zeit, da das Unglück geschehen war, oder kurz vorher, sich hier in der Stadt befunden habe, als Sechzehnjähriger, bei seiner Tante, der Frau Erika von Spresse. Indessen, ihn befiel jetzt, nach der Begier, mit welcher er alles früher Gehörte in sich aufgenommen hatte, eine fühlbare und fast drückende Ermüdung. Diese ließ ihn selbst die kleine Mühe der Mitteilung scheuen und die möglicherweise daraus sich ergebende Notwendigkeit, Fragen zu beantworten. Er schwieg also.
»Derainaux hat Louison etwa zehnmal gemalt und die Bilder mit sich genommen«, sagte der Präsident nach einer Weile. »Diese Bilder waren prachtvoll und von seiner besten Art – bis auf eines, welches aus der vorübergehenden Überzeugung – man könnte auch sagen fixen Idee – entstand, daß Louison nur mit den Kunstmitteln einer ganz anderen Zeit als der unseren zum Ausdrucke gebracht werden könne. Er malte also, als sei er ein Zeitgenosse Watteaus, und die Sache verunglückte natürlich, das heißt, es entstand ein ›sprechend ähnliches‹ Bild, das aber malerisch fast so etwas wie ein Greuel ist. Dieses Bild hat Derainaux uns hinterlassen; es blieb in seinem Atelier stehen, und nachdem man von ihm nichts mehr hörte, nahmen wir es zunächst in Verwahrung. Zwei Jahre später ging die Nachricht von seinem Tode durch die Blätter. Meine Frau fuhr nach Paris, da sie hoffte, daß unter Derainaux’ Nachlaß sich die herrlichen Bildnisse Louisons finden könnten. Zu der Zeit, als Derainaux diese Bilder malte, war es unmöglich gewesen, von ihm auch nur ein einziges zu erhalten, obwohl wir uns zu jedem von ihm verlangten Preise verstanden hätten: jedoch er gab sie nicht aus der Hand und schleppte sie alle mit. In Paris stürzten sich nach seinem Tode die Händler auf das Vorhandene; meine Frau bekam gleichwohl den ganzen Nachlaß noch zu Gesicht: es war kein einziges der Bildnisse Louisons darunter, sie blieben unauffindbar. Wahrscheinlich hat er alle vernichtet. So besitzen wir bloß jenes eine, das in dem kleinen Salon rückwärts hängt. Du kennst es ja.«
Damit beendete der Schwiegervater seine Erzählung; nach einer kleinen Pause streifte er gesprächsweise noch den oder jenen anderen Gegenstand, auch seine eigene berufliche Laufbahn, und zwar mit der seltsamen Bemerkung, daß ihm die Stellung und Wirksamkeit eines hohen richterlichen Beamten in irgendeiner Weise nicht ganz vereinbar schienen mit jener Breite der Lebensbasis, wie sie seinem
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