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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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früher her und von Anfang an ein halb belichtetes Wissen in mir vorhanden von der eigentümlichen Beziehung, in welcher diese beiden Kinder standen, in Liebe und in Haß – und gerade das letztere lehnt man als Vater einfach ab, wo es zwischen Kindern auftritt, statt gerade dort die Augen ganz hinzuwenden, zu den Gründen des Hasses, meine ich. Nun also, später dachte ich freilich genau nach und habe auch mit meiner Frau viel darüber gesprochen, die in verwandter Weise und auf ihre Art Bescheid wußte, und ganz ähnlich wie ich – zu spät; zumindest kam die wirkliche Klarheit zu spät. Es gibt Brückenmenschen. Das ist die Formel, welche ich fand. Es gibt Menschen, die als Brücke zu anderen leiten, und ihre wahre Beziehung zu diesen anderen besteht eben lediglich in dieser ihrer Funktion; dazu gehört, daß sie am Ende übergangen, überschritten werden, diese ›pontifices‹. Ein solcher war der zwangsläufige Mechanismus zwischen Marianne und Louison, immer, nur bekam er, als zu Mahlendes, späterhin das schwerere und nahrhaftere Korn des Lebens aufgeschüttet, statt Tantengunst, Kinderfreundschaften und verwöhnender Geschenke, die sich da einst mit Regelmäßigkeit von Mariannchen allmählich auf Louison verschoben hatten. . . Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß alle jene Personen bloße Banalitäten redeten, die dann sagten, Louison hätte eben mit ihrem Erscheinen in Leipzig ›durch ihr geistsprühendes Wesen und ihr Verständnis für alle Fragen, welche einen Künstler wie Derainaux bewegten, die Hausbackenheit Mariannes sofort weit überflügelt‹. Das war die bloße Erscheinungsform der Sache für diesmal, in diesem Falle eben – weshalb es ja andererseits begreiflich erscheint, daß die Leute sozusagen den diesmaligen Inhalt für die gleichbleibende Form oder das Korn für die Mühle nahmen, um beim früheren Vergleiche zu bleiben. Ich selbst bin auch heute noch zutiefst davon überzeugt, daß Derainaux, wäre Louison gleich hier gewesen, bei Marianne begonnen und sein ›deutsches Erlebnis‹ auf keinen Fall übersprungen hätte: er hätte sie, ganz in der gleichen Weise, hinter sich gebracht, ohne sie je gehabt zu haben – du verzeihst wohl diesen präzisen, jedoch erhellenden Ausdruck. Vielleicht ist beim Künstler jene Vorwegnahme, von der ich früher sprach, wirklich stärker und sein Vorstellungsleben dem seines Schöpfers und einzigen Souveräns entfernt und doch um einiges mehr ähnlich als bei den anderen Menschen, so daß es ihn selbst wenigstens zu verändern vermag, wenn auch nicht das Leben draußen...«
    In Castiletz kreuzte sich ein unklarer Gedanke mit dem anderen. Er gedachte jenes Abends, da sein Vater, nach dem Eintritte ins Speisezimmer, sich wieder in einen solchen und also in eine Instanz zurückverwandelt hatte, während es in seiner Abwesenheit noch eher gelungen war, ihn – den man ja mit der Hedeleg wußte oder glaubte – als einen sozusagen Lebendigen zu sehen. Dann wieder fühlte Conrad, und nicht zum ersten Male, ein seltsam schlechtes Gewissen wegen des Auftrittes mit Marianne, der jenem gräßlichen Schrei von der Straße gefolgt war . . . obwohl ja hier alles sich in Ordnung befand, das heißt er selbst durchaus unschuldig an den Tränen seiner Gattin gewesen war, wenn man’s nur genau nahm. Und doch, den Schwiegereltern gegenüber trat ihm diese Sache mehr als einmal in den Sinn, ja, er hatte sogar darüber nachgedacht, ob Marianne ihrer Mutter etwa davon erzählt haben könne ...
    »Nun«, sagte Robert Veik nach einer Pause, »eigentlich habe ich alles erzählt, was des Berichtens wert ist. Die Rolle – ihre wesentliche Rolle – in welche Louison nunmehr gedrängt ward, glaubte ihr niemand, am allerwenigsten ihre ältere Schwester. Auch Derainaux nicht, der jetzt um Louison kämpfte und ohne jede Aussicht auf Erfolg. Sie mag für ihn wie ein Gruß aus der Heimat gekommen sein, nicht so sehr im örtlichen, wahrscheinlich in einem viel tieferen Sinne . . .«
    Bei diesen Worten seines Schwiegervaters wurde es Conrad so zumute, als schwemmte ihn etwas Stärkeres hinweg, als höbe es ihn von seinem sicheren Stande; und seine Hände, welche sogleich die Zügel der Ordnung ergreifen wollten, sie ergriffen nichts, denn sie fanden sich leer. Durch einige Augenblicke ging er so wie über dünnes Eis, dann erst wurde der Boden wiederum fest und undurchsichtig.
    »Freilich hat sie »Verständnis für alle Fragen gezeigt, die einen Künstler bewegen‹ – sie

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