Ein Mord den jeder begeht
Hause eigentümlich sei und sich, eben durch Frau und Töchter, ergeben habe. Für seine Gattin, welche aus rheinländischen Industriekreisen stammte, wäre dieses allerdings von Anfang an die selbstverständliche Folie gewesen. Jedoch, meinte der Präsident, ein Richter müßte eigentlich leben wie der ältere Cato. Dann schwieg er eine Weile hindurch und äußerte endlich noch, daß seit dem schrecklichen Untergange Louisons ihm die richterliche Praxis vielfach zur Qual geworden sei und daß er jeden größeren Kriminalprozeß im voraus fürchte. Seine durch viele Jahre betriebenen wissenschaftlichen Arbeiten rechtsgeschichtlicher Art gäben ihm nun begründete Hoffnung, in absehbarer Zeit den richterlichen Sitz mit dem Katheder eines Universitätsdozenten vertauschen zu können: zu seinem Glücke, müsse er aufrichtig sagen.
Für Castiletz wurde es Zeit zu gehen. Als er die breite Glastür durchschritt und über die Freitreppe von Holz in die gewärmte Halle hinunterstieg, fühlte er etwas wie einen neuen Raum unter sich, der zwar von ihm noch nicht eröffnet oder sozusagen angebrochen werden konnte, jedoch mit seinem Vorhandensein gleichsam heraufdrückte und wie tragend, so daß Conrad leichteren Schritts und geringeren Gewichtes zu gehen glaubte. Die Villenstraße, in welcher das von Robert Veik gemietete Haus stand – Benningsenstraße hieß sie – leitete aus diesem Viertel geradewegs gegen das Ende der Königstraße. Conrad empfand plötzlich Widerwillen bei der Vorstellung des Verkehrstrubels hier und der zackigen Lichtbänder, das alles schien ihm jetzt scharf wie Salz zu wirken auf irgend etwas, das in ihm offen stand. Da es an der Ecke hier Automobildroschken gab, nahm er eine. Beim Einbiegen in die Wackenroderstraße schwenkte der Wagen so scharf, daß Castiletz gegen die eine Seite gedrückt wurde. Er sah, daß die schmale und früher so belebte Straße nun beinahe leer war.
Marianne war schon mit dem Ankleiden beschäftigt. Castiletz beeilte sich, und als er, bereits im Abendanzug, wieder in das Schlafzimmer trat, saß sie fertig vor dem Spiegel und wählte den Schmuck. Sie trug Weiß und Silber, diesmal mit großem Ausschnitt, ihre Büste wirkte breit, voll und fast mächtig, schlug wie mit Schwanenflügeln zu ihm herauf, der hinter ihrem Stuhle stand. Jetzt beugte Conrad sich ein wenig vor und griff über die bloße Schulter seiner Frau in eines der offenstehenden kleinen Putztischfächer, darin sich einzelne Schächtelchen und Etuis des Schmuckes befanden. Er nahm eines in die Hand, es war grünbraun marmoriert und von Leder; als er das Deckelchen springen ließ, zeigten sich auf ockerfarbenem Samte zwei Ohrgehänge, grüner Beryll in schwerer Fassung von Gold.
»Sind sie das?« fragte er.
»Ja«, sagte sie und wandte sich ihm halb zu.
»Willst du sie nicht auch einmal tragen?« sagte Conrad.
»Heute nicht«, erwiderte sie in einlenksamem Tone. »Zu diesem Kleide passen wohl nur Perlen, wenngleich ich sie nicht mag. Auch ist zum eigentlichen Tragen die Goldfassung allzu schwer. Sie tun mit der Zeit weh.«
Er beugte sich tiefer herab, über den Ausschnitt des Kleids; seine Lippen bewegten sich leise und nah an ihrem rechten Ohr:
»Trag sie einmal – bei Nacht«, sagte er.
In Mariannes Auge zersprang ein kleiner Stern, er zersprang in ein Kaleidoskop von Möglichkeiten. Darunter mag auch irgendwo jene gewesen sein, daß sie jetzt ihren Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Jedoch, ihm zugewandt und da er den Kopf ein wenig hob, trafen sich ihre Blicke. In dem seinen stand ein Schmerz, kein hoher, jedoch ein verständlicher. In ihren Worten und deren Tonfall kehrte jetzt seltsam eine Haltung und Bewegung wieder aus der allerersten Zeit ihrer Ehe, vielleicht war es eine verwandte Bewegung wie jene, mit welcher sie einst in Italien vor ihm die Treppen hinaufgestiegen war. Also trat aus dem Kaleidoskop ihres Auges eine milde Mitte. Und sie sagte: »Ja, wenn du willst.« Denn nicht nur er hoffte. Auch sie.
Dritter Teil
30
Wohl selten verläßt ein Ehefahrzeug den Hafen, auf dem nicht der Klabautermann früher oder später im Takelwerke gesehen wird. Und, genau genommen, hat dies noch recht wenig zu sagen, sonderlich wenn man erwägt, daß ja die Ehe selbst nichts anderes ist als eine Reihe von verwickelten Gleichgewichtszuständen und Schwebungen zwischen ihrem ständigen, ja, zur stehenden Einrichtung gewordenen Ende und den periodischen Rückläufen ihrer Fortsetzbarkeit.
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