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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Veranstaltung gekommen, wie sie’s liebte (daß Herr von Hohenlocher Conrads Tante mit jener Höllenziege verglich, von deren Euter sich des Teufels Großmutter vermutlich die Milch zum Morgenkaffee melke, war übertrieben, jedoch recht mager war sie schon, die Frau von Spresse). Der Abend verlief vornehm und fruchtbar; vornehm, da jedermann schon mit der schwarzen Masche des Gesellschaftsanzuges irgendwas Künstlerisches oder Schöngeistiges umzubinden durchaus für nötig befand; fruchtbar aber, weil dargetan wurde, was alles während eines Streichquartettes vorgehen kann, und nicht nur in den gehobenen Seelen der Hörer.
    Hohenlocher und Castiletz drückten sich draußen herum während der Musi, und zwischendurch betraten sie auch jenen sehr würdig mit Kacheln und Marmor ausgestatteten Raum, welcher sich neben der geräumigen Kleiderablage befand. Als jedoch Herr von Hohenlocher eine von den weißlackierten Zellentüren öffnete, trat er betroffen zurück und blieb stehen, erschüttert von der Gewalt eines Eindruckes, die ihm alsbald das Wasser aus den Augen trieb. Castiletz sprang herzu. Fast gleichzeitig übrigens mit dem Öffnen der Türe rauschte drinnen ein Katarakt.
    In der sauberen Muschel stand aufrecht – der Baurat, und zwar bloßfüßig, mit bis zu den Knien hinaufgekrempelten Frackhosen, in regelmäßigen Abständen die Spülung betätigend, wie er nun erklärte, wobei sein gütiges Gesicht unter der Wucht dieser drangvollen Lage dem Ausdrucke nach in irgendeinen erschrockenen Zustand seines vierten oder fünften Lebensjahres zurückversetzt war.
    Die neuen und viel zu engen Lackschuhe samt Strümpfen standen während solcher Prozedur still in einer Ecke des Räumchens, indes den gemarterten Füßen immer wieder stoßweise Kühlung ward. Der Baurat fand für nötig zu erklären, daß der Gebrauch des Toilettetisches draußen solche Bequemlichkeit zum Fußbade nicht geboten hätte, außerdem wäre zu befürchten gewesen, daß jemand von den in der Kleiderablage befindlichen Bedienten den Raum betreten und ihn mit bloßen Füßen, also in ungewöhnlicher und lächerlicher Weise, in dem Toilettenraume angetroffen hätte. Jetzt freilich in seiner Verzweiflung habe er den Riegel schlecht vorgelegt.
    Aber, was nützten solche vernünftige Zerlegungen und Darlegungen der ganzen Situation dem Herrn von Hohenlocher, über dessen Gesicht ein einziger Vorhang von Tränen fiel, während sein Gelächter fast unhörbar wurde, und zwar infolge von dessen sozusagen aufs höchste gestiegener Schwingungszahl.
    Gleichwohl ward dem Baurat Hilfe. Hohenlocher, noch kaum bei Atem, stürzte zum Telefon, und man hörte, was er sagte:
    »Schubert?! Sofort alte Lackschuhe einpacken, Auto nehmen, hierher zu Frau von Spresse. Galopp!«
    Sie kam, und es war eine rechte Erlösung. Vorher noch hatte der Retter mit kurzem Griff einen seiner bequemen Lackschuhe vom Fuße gezogen und der Baurat hatte ihn probiert, wahrhaft mit einem lachenden und einem feuchten Auge.
    Herrn Lissenbrech sah Castiletz mitunter auch bei Hohenlocher, wenn dieser abends mit ein paar Freunden trank, wozu Conrad nicht selten eingeladen wurde. Hier gab es noch manches bemerkenswerte Vorkommen, wie etwa den Doktor Velten, einen Nervenarzt, der sich Hohenlochers besonderer Wertschätzung erfreute, seit er einmal, durch die endlosen Leidensdarlegungen seiner Patienten aufs äußerste ermüdet und gelangweilt, einem solchen eingebildeten Kranken mit kurzer Bemerkung – »bitte nehmen Sie, während Sie über sich selbst sprechen, diese Larve vors Gesicht!« – eine zufällig an der Wand hängende Fastnachtsmaske gereicht hatte. Und nun saß jener da mit einer riesigen roten Nase und weißem Knebelbart, während er tiefernst seine Hemmungen und Zwangsvorstellungen beichtete. Auf solche Weise bot doch die Sprechstunde auch etwas fürs Gemüt des Arztes, der nun genug damit zu tun hatte, den Kampf gegen das Lachen zu führen. Doktor Velten war Amtsarzt, fand mit seinen bescheidenen Bezügen völlig das Auslangen und lebte im übrigen ganz der Forschung über die geistigen Entartungserscheinungen bei Kindern und deren letzte Ursachen; jedoch gab es eine Reihe von Nichtstuern und Halbnarren, die ihr zweifelhaftes Innenleben nur bei ihm, gerade nur bei ihm und bei gar keinem anderen Arzte lüften wollten. Sie füllten seine Sprechstunden, und manchmal lief er auch vor solchen Patienten davon. Doktor Velten war ein überaus langer Mensch von seltener Nachlässigkeit

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