Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
dunkelblauen Gehrock gekleidet mit taubengrauen Hosen darunter. Sein Hemd war schneeweiß, und die Seidenkrawatte mit der diamantenen Nadel war das einzige schwarze Kleidungsstück an ihm. Er war glatt rasiert und trug das Haar lang wie ein Poet, und insgesamt war sein Erscheinungsbild viel eher das eines Dandys als eines Geistlichen. Jetzt begriff ich auch, wieso der größte Teil der Zuhörerschaft weiblich war. Und tatsächlich, bei seinem Auftritt ging ein kollektiver Seufzer des Wohlgefallens durch das Publikum.
»Meine lieben Freunde«, begann Fawcett, indem er das Rednerpult rechts und links umklammerte und den strahlenden Blick über unsere Ränge schweifen ließ. »Meine lieben, lieben Freunde … Was für ein wunderbares Vergnügen es doch ist, Sie alle hier und heute versammelt zu sehen. Es lässt mir das Herz in der Brust aufgehen, zu sehen, dass so viele so begierig sind, unsere wahrhaft noble Sache zu unterstützen. Ich sehe es in Ihren Gesichtern, dass Sie sich unserer großen Aufgabe mit Leib und Seele verschrieben haben.«
Seine Stimme war wohlklingend, doch seine Augen waren scharf und aufmerksam. Er hatte mich als Außenstehende erkannt, obwohl ich ganz hinten saß, dessen war ich mir sicher.
Dann wechselte er ganz unvermittelt das Tempo und den Stil, und es ging los. Meine Güte, sagte ich später zu Ben, eines musste man diesem Mann lassen – er war ein atemberaubender Prediger. Seine Stimme hob und senkte sich, wurde lauter oder leiser, ganz wie es die Situation erforderte. Er führte uns durch die Geschichte von Jona und dem Weinberg. Er erinnerte uns daran, dass aller Wein und jeglicher Weingeist die Sinne betäuben und die Ursache zahlreicher körperlicher Beschwerden (einschließlich ausgefallener Zähne) und für vorzeitiges Altern sind. Dass sie zu Gewalt führen und zu folgenschweren Fehleinschätzungen. Am schlimmsten von allem war die Abhängigkeit von Alkohol, ein erster Schritt auf einem steilen Weg nach unten, zu allen möglichen Arten von Sünde, angefangen bei unschicklicher Sprache und lautem Verhalten in der Öffentlichkeit bis hin zu verbotenen Wünschen und Lastern im Geheimen, von Gier und Neid bis hin zu Kriminalität und Mord.
Er erklärte weiter, dass es nicht ein einziges der Zehn Gebote gab, zu dessen Übertretung wir nicht verführt werden konnten, wenn wir nur genügend getrunken hätten. Was die sieben Todsünden anging, so würden wir sie überhaupt nicht mehr als solche wahrnehmen.
»Lust!«, kreischte Fawcett mit dröhnender Stimme durch den Saal.
Die Damen im Publikum erschauerten. Jede einzelne hatte verzückt an seinen Lippen gehangen. Nicht eine wand sich, kein Stuhl scharrte, niemand hustete. Ich befürchtete insgeheim, die jugendlichen Abstinenzler in den vorderen Reihen könnten unruhig werden, doch sie schienen genauso fasziniert von seiner Predigt zu sein wie jedermann sonst. Bessie saß mit leuchtenden Augen neben mir. Ich spürte, wie ich allmählich nervös wurde.
»Geht hinaus auf die Straßen!«, rief Fawcett und deutete mit ausgestreckter Hand zur Tür und auf die Welt außerhalb des Saals. Das lange Haar flog geschmeidig um seinen Kopf. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich an ein Bleiglasbild des Erzengels Michael erinnert, der im Begriff stand, den Drachen des Bösen aufzuspießen. »Ihr werdet Höhlen voller Laster finden, aller nur erdenklichen Laster, meine Freunde! Ihr werdet heruntergekommene Menschen sehen, ohne Arbeit, ohne jede Selbstachtung, die in den Straßen betteln! Ihr werdet Frauen sehen, die sich in aller Öffentlichkeit verkaufen! Verschwenderische junge Männer aus guten Familien, die ihre Vermögen wegwerfen! Hungernde Mütter, die ihre elenden Säuglinge in den Armen halten und an den Türen von Pubs nach ihren Männern rufen, damit sie herauskommen, bevor sie den letzten Penny ausgegeben haben! Und was ist die Ursache für all dieses Elend? Alkohol!«, donnerte er.
Die Worte fielen in tiefstes Schweigen hinein. Wir warteten atemlos. Nach einer Pause fuhr Fawcett mit ruhigerer Stimme, jedoch genauso eindringlich fort. Er versank in Pathos und steigerte sich in höchste Indignation, während er die dramatische Geschichte eines Trunkenbolds wiedergab, der verantwortlich war für ein Pferd und einen Karren. Betrunken und orientierungslos überfuhr er eine junge Frau, die ihren alten, gebrechlichen Vater über die Straße geleitete.
Fawcett verschränkte die Hände wie zum Gebet. »Stellen Sie sich diesen Anblick
Weitere Kostenlose Bücher