Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
doch ich erwiderte ihn ungerührt, und er tippelte weiter. Allerdings blieb mir genügend Zeit, um festzustellen, dass es nicht Pomade war, die seine letzten Haarsträhnen so unverrückbar fest auf seinem Haupt haften ließ – es war vielmehr Schmalz. Das schmelzende Fett lief ihm in einer dünnen Schicht über die Stirn und ließ sie glänzen, als wäre sie poliert.
Vor dem Tisch mit dem Samowar bildete sich eine Menschentraube. Unter der strengen Anleitung von Mrs. Scott erwachte Mrs. Gribble zu hektischer Aktivität.
»Bleiben Sie hier sitzen, Missus«, sagte Bessie. »Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee und Gebäck.«
»Nein, nein«, entgegnete ich ernst. »Ich möchte die anderen kennenlernen.« Ich rauschte mit einer nervösen Bessie im Schlepptau nach vorn.
Als ich mich dem Tisch mit dem Samowar näherte, stellte ich fest, dass es eine weitere Dose gab, in die wir wohlgewogen ein paar zusätzliche Münzen für unseren Tee geben durften, obwohl auf dem Anschlag draußen vor der Tür kostenlose Erfrischungen angekündigt worden waren. Doch Bessie hatte mir bereits Tee in einem der dickwandigen Becher besorgt. Sie hatte außerdem die Aufmerksamkeit von Mrs. Scott erhascht und flüsterte leise mit ihr. Mrs. Scott blickte auf und näherte sich mir, während sie mich unverhohlen von oben bis unten musterte und meinen Stand und die wahrscheinliche Höhe des Einkommens meines Ehemannes taxierte.
»Ich höre, Sie sind Bessies Arbeitgeberin, Mrs. Ross«, begann sie. »Ich möchte Sie herzlich willkommen heißen.« Sie neigte würdevoll den Kopf.
»Ich bin hergekommen, weil ich selbst sehen wollte, wohin Bessie am Sonntagnachmittag geht«, erwiderte ich knapp. »Ich bin verantwortlich für sie.«
Mrs. Scott antwortete mit einem dünnen Lächeln. »Ich bin erfreut zu sehen, dass Sie Ihre Verantwortung so ernst nehmen, Mrs. Ross. Bessie ist ein gutes Mädchen und macht sich hier im Saal sehr nützlich. Haben Sie etwas von diesem Nachmittag mitgenommen?«
»Mitgenommen?«, fragte ich verwirrt.
»Haben Sie sich ein Bild davon machen können, wo Bessie hingeht?« Sie hatte einen Unterton, der nicht wirklich sarkastisch klang, nur ein wenig trocken.
»Ich denke schon«, antwortete ich. »Was Bessies Hilfe angeht, so mag das alles schön und gut sein, doch da wäre noch die Frage gewisser Flugblätter …«
Doch Mrs. Scott hörte mir nicht mehr länger zu. Sie starrte auf jemanden hinter mir, und ein leichter Rotton färbte ihre blassen Wangen. Ich spürte einen Luftzug im Nacken, und der Duft von Veilchen und Cachou stieg mir in die Nase. Ich wandte mich um.
»Meine liebe Madam«, sagte Mr. Fawcett. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie die Arbeitgeberin von Bessie sind?« Er streckte die Hand aus und legte sie Bessie kurz väterlich auf ihre beste Sonntagshaube.
Bessie strahlte, als wäre Weihnachten. Fawcett lächelte mich auf eine wohlwollende Weise an, die kaum zu seiner Jugend passen wollte … und er war jung. Meine erste Einschätzung war mehr oder weniger korrekt gewesen. Er war nicht älter als dreißig. Seine Haut war glatt und gesund, seine Augen groß und weit auseinanderstehend und seine Nase leicht gebogen. Er hatte sich die Zeit genommen, das lange schwarze Haar ordentlich nach hinten zu kämmen. Ich fühlte mich erneut an einen Erzengel in einem antiken Bleiglasfenster erinnert.
»Ja«, antwortete ich abrupt. Ich wusste nicht warum, doch mein Hirn war plötzlich irgendwie ganz leer. All die Dinge, die ich hatte sagen wollen, waren verschwunden. Ich versuchte mich zusammenzureißen. »Sie sind ein sehr talentierter Prediger, Mr. Fawcett.«
Er verneigte sich leicht. Ich konnte den Blick nicht von seinen Augen abwenden, die von einer ganz außergewöhnlichen Farbe waren, beinahe Aquamarin. »Es ist ein ergiebiges Thema, Mrs. Ross, und eines, dem wir alle größte Aufmerksamkeit widmen sollten.«
Ich kam zu mir. »Mr. Fawcett, ich möchte ganz offen zu Ihnen sein. Ich bin heute hergekommen wegen dieser Flugblätter. Dieser Pamphlete.«
Er hob die Augenbrauen.
»Bessie hat sie gestern hier abgeholt, weswegen sie in einer nebligen Nacht sehr spät nach Hause gekommen ist. Das wiederum hat meinem Ehemann und mir nicht geringe Besorgnis bereitet.« Ich hörte mich drauflosschnattern und konnte es dennoch nicht ändern.
Mr. Fawcett schüttelte traurig den Kopf und starrte Bessie tadelnd an. Bessies Gesichtsausdruck änderte sich von Verzückung zu bestürzter Panik. Das brachte mich
Weitere Kostenlose Bücher