Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
›Temperenz‹ auf sich hat«, sagte Ben, »aber falls wir noch etwas Porter in der Speisekammer haben, dann würde ich gerne ein Glas zum Abendessen trinken.«
»Ach du gütiger Himmel, das Abendessen!«, rief ich erschrocken. »Bessie, wir müssen uns sputen, hörst du? Jetzt ist keine Zeit mehr, um darüber zu reden. Wir werden uns später unterhalten.«
»Jawohl, Missus«, antwortete Bessie bekümmert.
»Was willst du unternehmen?«, erkundigte sich Ben später über den Schweinekoteletts.
Im Kamin prasselte ein munteres Feuer, und sein Lichtschein spiegelte sich auf dem gusseisernen Grill und den Gitterstäben. Es war ein Anblick, der jeden entspannen konnte.
»Es ist zum Teil meine Schuld«, sagte ich. »Ich hätte mehr über diese Gebetsstunden herausfinden müssen, bevor ich Bessie erlaubt habe, regelmäßig dorthin zu gehen. Ich dachte, sie singen nur Kirchenlieder und hören sich die Temperenzpredigten dieses Mr. Fawcett an. Ich denke … ich denke, ich werde morgen mit Bessie zu dieser Gebetsstunde gehen und ein Wort mit dem Prediger reden. Ich werde ihm sagen, dass das Verteilen von Flugblättern überhaupt nicht infrage kommt, soweit es unsere Bessie betrifft.«
»Wie du meinst«, sagte Ben, indem er sich den Rest Bier aus seiner Flasche Porter einschenkte.
»Ben …?«, fragte ich. »Magst du wirklich saure Kochäpfel?«
»Aber sicher«, antwortete mein Ehemann. »Ich mochte sie schon immer, schon als Kind.«
Ben machte ein Nickerchen vor dem Kaminfeuer, als Bessie und ich am späten Nachmittag des nächsten Tages das Haus verließen. Der Nebel vom Vortag hatte sich völlig aufgelöst, obwohl aus jedem Schornstein dichter grauer Rauch stieg und über den Häusern und Straßen hing. Die Straßen waren leerer als unter der Woche und lagen in sonntäglicher Stille. Die meisten Menschen, denen wir begegneten, waren in ihren Sonntagsstaat gehüllt, auch wenn es wie immer die ein oder andere Bande von Gassenjungen in Lumpen gab. Sie rannten neben den sonntäglichen Spaziergängern her und bettelten im Vertrauen darauf, dass es der Tag der Kirche war und christliche Mildtätigkeit dazu führte, dass die Angebettelten eine Münze herausrückten.
Der Saal, in dem die Gebetsstunde stattfand, stand eingekeilt zwischen zwei größeren Gebäuden, und er sah aus, als hätte er seine Existenz als eine Art Waren- oder Lagerhaus begonnen. Das Mauerwerk war mit der gewohnten Schicht aus Dreck und Ruß überzogen, doch die hohen schmalen Fenster waren sauber, und auf einer Ankündigungstafel draußen war ein Blatt befestigt, auf dem die heutige Gebetsstunde annonciert wurde, »mit einem Vorwort von Reverend Joshua Fawcett. Im Anschluss Tee und Gebäck.«
»Manchmal helfe ich beim Tee oder beim Gebäck aus«, sagte Bessie stolz, als sie mich über die Schwelle führte. »Und manchmal passe ich auf die Kleinen auf.«
Der Saal im Innern wurde von einem qualmenden Ofen unzureichend geheizt. Er war spärlich möbliert mit Reihen von Holzstühlen, und unsere Stiefel klapperten auf den nackten Dielen. Am anderen Ende war ein Podium errichtet worden, und in seiner Mitte stand ein Rednerpult. Rechts davon und nahe dem fadenscheinigen Vorhang gab es ein verkratztes Klavier, das dringend einer Politur bedurfte. Unterhalb des Podiums und zur Linken stand ein langer Tisch mit einem großen Samowar, der leise zischend vor sich hin köchelte, beaufsichtigt von zwei Frauen, eine klein und dick, die andere groß und dünn.
»Die kleine Dicke ist Mrs. Gribble«, flüsterte Bessie mehr oder weniger unhöflich. »Die lange Dürre ist Mrs. Scott. Mrs. Scott ist Witwe. Ihr Mann war ein Soldat, aber er ist nicht in irgendeiner Schlacht gefallen. Er ging nach Indien und starb dort am Fieber.« Sie runzelte die Stirn. »Sieht so aus, als wäre Miss Marchwood heute gar nicht da. Ich frage mich, wo sie abgeblieben ist. Sie ist eigentlich immer da und verteilt den Tee. Ich hätte sie Ihnen gerne vorgestellt, Missus. Sie ist das Gleiche wie Sie früher, wissen Sie?«
»Wie ich früher?«, fragte ich verwirrt.
»Bevor Sie und der Herr Inspector geheiratet haben, meine ich. Sie ist Gesellschafterin einer Lady«, erklärte Bessie.
»Tatsächlich?«, murmelte ich, während ich Mrs. Scott musterte. Sie war nüchtern gekleidet, doch ihr Mantel aus feinem grünem Zwirn war mit Pelz besetzt. Unter dem Mantel trug sie ein Kleid mit einem Schottenkaro, wie es Ihre Majestät so populär gemacht hatte. Der Reifrock darunter war modern und
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