Ein nackter Arsch
quetschte er aus vollem Mund hervor, während er kaute.
„Ab zwanzig Gramm wird’s undeutlich“, wies der Kommissar den Polizeiobermeister auf dessen Verstoß gegen die Etikette hin. Fabio schluckte kurz und wiederholte: „Adresse! Von der Toten! Die Eltern leben in Saarlouis. Moltkestraße. Ich hab schon ’ne Wegbeschreibung ausgedruckt.“
„Che?“ Auch Simarek hatte, wider Willen angesteckt von Fabio Trulli, seine italienischen Momente.
„Na ja, geht doch jetzt super einfach im Internet. Muss man nur Start und Ziel eingeben und schon kann man die ideale Fahrtstrecke ausdrucken.“
„Aber wie man nach Saarlouis kommt, wissen wir doch. Und die Moltkestraße ist eine der großen. Außerdem kennt die jeder seit der Rotlichtaffäre.“
„Ja, aber wenn wir das alles nicht wüssten, dann wäre das richtig praktisch mit der Wegbeschreibung aus dem Computer.“
„Fabio, du raubst mir den letzten Nerv! Hast du wenigstens rausgefunden, wo Schmidtbauer wohnt?“
„Si! Und zwar ebenfalls über das Internet.“ Fabio grinste. „Obwohl er nicht im Telefonbuch steht. Das Haus können sich morgen die Kollegen der Spurensicherung mal genauer anschauen. Und jetzt ab nach Saarlouis. Dann bin ich vielleicht zum Nachtisch zurück.“ Falls Fabio glaubte, diese Bemerkung verursache ein schlechtes Gewissen bei seinem Chef, so hatte er sich getäuscht. Immerhin hatte er Croissants bekommen. Das war Großmut genug gewesen und musste für eine Weile reichen. Irgendwie trug Simarek seinem Assistenten immer noch nach, dass der am Morgen mit Evi telefoniert hatte – rein dienstlich, wie er und der Polizeiobermeister wussten. Und daran bestand kein Zweifel. Aber nicht immer folgte Simarek seinem Verstand, auch das wussten beide.
Die Moltkestraße hatte schon bessere Zeiten gesehen. Einst die Wohnstadt besserer Leute, hatte das ganze Viertel genauso wie Bergbau und Industrie in der Region den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit hinnehmen müssen. So bot die Moltkestraße jetzt jene seltsame Mischung, die es an der Saar häufiger gab: Vorgärten mit Zwergen, die Schubkarren schoben und direkt nebenan der Puff, allerdings nicht allzu offensichtlich zu erkennen. Denn Madame Eve, die Betreiberin, eine dralle Mittfünzigerin mit wallendem Haar und ebensolcher Garderobe, legte Wert darauf, mit den Nachbarn in Frieden zu leben. Sie vermied es daher, mit ihrem Etablissement Aufsehen zu erregen. Dass sie vor Jahren einmal in den Schlagzeilen war, lag schließlich nicht an ihr. Was konnte sie dafür, dass korrupte Politiker und spendierfreudige Manager das Geld unbedingt bei ihr und ihren hübschen Mädels aus gut einem Dutzend Ländern ausgeben wollten? Ein investigativer Zeitungsreporter hatte das damals aufgedeckt. Aber nach dem Skandal war es Madame Eve doch wieder gelungen, ihr Haus diskret zu führen, und so legte sich die Aufregung im Viertel wieder. Seitdem herrschte in der Moltkestraße ein Klima friedlicher Koexistenz und selbst die Schulkinder winkten mitunter Madame Eves Damen freundlich zu, was diese ebenso freundlich und ohne Anzüglichkeiten erwiderten. Ausnahmen machten sie höchstens, wenn einer der Schüler sichtbar die Volljährigkeit erreicht hatte…
Gesine Mollet war in geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Das sah sofort, wer seine Füße in den kleinen Vorgarten setzte, den Gabriel Mollet vor seinem Haus in der Moltkestraße 22 angelegt hatte. Blumen und Sträucher standen in Reih und Glied, und die sorgsam beschnittene Buchsbaumhecke erinnerte fast an einen italienischen Schlossgarten.
Erna Mollet, die die Tür öffnete, machte einen ebenso geordneten Eindruck wie der Vorgarten ihres Mannes. Und nachdem sich Simarek und Trulli als Polizisten zu erkennen gegeben hatten, fragte sie auch sogleich, als habe sie es erwartet:
„Ist was mit Gesine?“
Simarek hasste diese Momente, wenn er mit einer Hiobsbotschaft vor einer ihm fremden Türe stand. Aber das Überbringen von Todesnachrichten gehörte nun einmal zum Beruf des Polizisten. In der Ausbildung war das zum Glück auch ein Thema gewesen, in das Zeit investiert wurde. Doch Simarek hatte die Erfahrung gemacht, dass die Situation immer wieder ganz anders war, wenn er dann vor einer neuen fremden Türe stand und klingelte. Es wollte sich einfach keine Routine einstellen, und dem Kommissar gingen solche Momente immer wieder nah. Den harten Hund, den er nach außen gerne und oft gab, nahm er sich dann selbst nicht ab. „Schön, noch Mitgefühl zu haben“,
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